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Der Newsletter der Looping Group
Amerikas Katastrophe
Journalist, Autor und Berater der LOOPING GROUP
Senior Editor LOOPING GROUP
In wenigen Sätzen
Die USA sind in Aufruhr: COVID-19 scheint außer Kontrolle, der Kampf gegen den Rassismus spaltet die Nation, der Präsidentschafts-Wahlkampf vertieft die Gräben. Was bedeutet diese Krise und was bedeutet das Verleugnen von Wissenschaft und Wahrheit für die Medienmarken, für die Journalisten, für die Redaktionelle Gesellschaft? Und wie ist im Vergleich dazu die Lage in Deutschland? Für diesen pointierten und persönlichen Mailwechsel haben wir zwei Kollegen aus unterschiedlichen Lebenswelten zusammengebracht: Whitney Wei, US-Amerikanerin, Journalistin, lebt in Berlin und arbeitet bei der LOOPING GROUP als Chefredakteurin von „Telekom Electronic Beats“; Klaus Brinkbäumer, Deutscher, „Zeit“-Autor, „Tagesspiegel“-Kolumnist und früherer „Spiegel“-Chefredakteur, lebt in New York City und steuert als Berater der LOOPING GROUP die Kommunikation des Human Vaccines Projects, das die besten Wissenschaftler weltweit vernetzt, um das menschliche Immunsystem zu dekodieren. Klaus: Guten Morgen, liebe Whitney, wo erreiche ich Dich in diesen verrückten Tagen? Und um mit einer geradezu monumentalen Frage zu beginnen: Wie beurteilst Du die Lage der amerikanischen Nation? Dieses schöne Land scheitert ja gerade an sich selbst: Da ist Covid-19; wir erleben das Verleugnen von Wissenschaft und Medien, von Wahrheit und Fakten; angesichts einer gewaltigen Finanzkrise sind mehr als 40 Millionen Menschen arbeitslos; die politische Polarisierung verhindert jede Art von Gesetzgebung und Kompromissfindung; und da ist das amerikanische Trauma, der Rassismus. Wenn zu alldem noch eine Regierung kommt, die konsequent Analyse und Strategie meidet, entsteht ein perfekter Sturm. Überlappen sich in den USA also diverse Krisen, die zusammen Amerikas Katastrophe ergeben?
Whitney: Schön, dass wir uns jetzt auch digital connecten, lieber Klaus. Ich lebe seit drei Jahren in Berlin. Bin kurz nach Trumps Amtsübernahme hierhergezogen, weil ich die Wahl als Omen für den bevorstehenden Untergang der Vereinigten Staaten gedeutet hatte. Die wunden Punkte, die Du angesprochen hast, sind Teil dessen, was Du „Amerikas Katastrophe“ nennst. Sie gären seit langem unter der Oberfläche. Covid-19 hat als Brandbeschleuniger gewirkt, jetzt brennt es lichterloh; Pandemien decken die strukturellen Defizite eines Landes schonungslos auf. Aller Welt wurde die Ignoranz der Regierung Trumps vor Augen geführt, ihre irrationale Negierung wissenschaftlicher Erkenntnisse und damit verbunden ein rassistisches Gesundheitssystem, in dem die Sterblichkeit der Afroamerikaner zwischenzeitlich viermal höher war als die des Durchschnittsamerikaners.
Die Frustration vieler AmerikanerInnen, die in prekären Verhältnissen leben und plötzlich arbeitslos wurden, entlud sich in Bürgerprotesten. Sie gipfelten in der beispiellosen Black-Lives-Matter-Bewegung. Erschwerend kommt hinzu, dass in den Vereinigten Staaten alles politisiert, in schwarz oder weiß unterteilt und als Angriff auf die Freiheit interpretiert wird.
Darüber gerät in Vergessenheit, was für die Zivilgesellschaft selbstverständlich sein sollte: die Gleichheit der Rassen, eine gesetzliche Krankenversicherung und der freie Zugang zu Informationen. Tatsache ist: Das in der Verfassung festgeschriebene „Land of the Free“ wird nur wohlhabenden, weißen Amerikanern garantiert, die sich auf Kosten ihrer MitbürgerInnen am anderen Ende der Nahrungskette bereichert haben. Sagen wir es noch deutlicher: Die bornierte weiße Arbeiterklasse ist darauf konditioniert worden, zu glauben, dass all ihre Probleme auf schwarze Amerikaner und illegale Einwanderer zurückzuführen seien. Diese Weißen würden aus rein rassistischen Motiven am Ende sogar gegen ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen stimmen. Eine Mischung aus Nebelkerzen, Desinformation und Manipulation, orchestriert von den Mächtigen des Landes, macht’s möglich.
Dieses Thema berührt mich auch deshalb besonders, weil meinen Eltern, nachdem sie aus Taiwan in die USA eingewandert waren, die Lüge aufgetischt wurde, dass Amerikaner etwas Besonderes seien. Ich bin dankbar dafür, dass ich das Chaos in den Staaten mit Abstand und aus einer anderen Perspektive verfolgen kann und dazu das politische Urteilsvermögen habe, viele Ängste, die meine Eltern wahrscheinlich empfanden, aber nicht artikulieren konnten, in Worte zu fassen.
Wann bist Du nach New York gezogen, lieber Klaus? Wie hast Du die Vereinigten Staaten wahrgenommen, als Du in Deutschland gelebt hast und wie hat sich Dein Eindruck verändert, jetzt, da Du im kulturellen Epizentrum des Landes lebst?
Klaus: All dem stimme ich zu, liebe Whitney. In den späten 80er-Jahren bin ich zum ersten Mal in die USA gezogen, als ich in Santa Barbara aufs College ging und Volleyball spielte. Mit einem uralten, 150 Dollar teuren Ford Pinto, der am Ende in Yosemite seinen Geist aufgab, habe ich Kalifornien und die ganze Westküste erkundet. Damals schienen mir die USA entspannt und zuversichtlich: Drüben in Europa war die Sowjetunion zusammengebrochen, es hatte also ein System eine Kultur gewonnen. Samuel Huntington sprach vom „Ende der Geschichte“, und heute wissen wir, wie falsch er lag. Danach lebte ich in Deutschland, kam aber immer wieder zu Besuch. 2007 kehrte ich zurück, diesmal ging es nach New York, und es folgten wundervolle Korrespondenten-Jahre.
Die Ära Obama begann, und ich erinnere mich noch an die Nacht in Chicago, als Barack Obama gerade gewählt worden war, an all diese stolzen und weinenden Menschen – was für ein romantischer Augenblick. Dann, fast zeitgleich, brach die Finanzkrise aus: Lehman Brothers, A.I.G., all diese Unternehmen, die sich nicht darum scherten, dass sie eine ganze Gesellschaft zerstörten, indem sie tausende Menschen in den Bankrott lockten. Schon vorher war der 11. September geschehen, ebenso die törichten Kriege im Irak und in Afghanistan. Jetzt also die Finanzkrise. Das amerikanische Selbstvertrauen war verschwunden.
Und noch einmal bin ich zurückgekehrt, 2018, diesmal aus privaten Gründen: Nach 26 Jahren beim "Spiegel" brauchte ich die Freiheit und die Zeit, loszulassen, nachzudenken, Neues zu sehen, zu fühlen und zu denken. Die Atlantikküste von Portsmouth, New Hampshire, gab mir dies vom ersten Tag an; es wurde ein wundervolles Jahr des Schreibens und Filmemachens, des Reisens und des Lesens. Und jetzt: New York City. 2020 war bislang – wie natürlich für uns alle – ein Jahr, das anders läuft als erträumt.
Sollen wir über die Medien reden, Whitney? Hier gibt es ebenfalls Krisen über Krisen, nicht wahr? Was meinst Du, was sind die Unterschiede zwischen Deutschland und den USA?
Whitney: In den USA ist wie überall auf der Welt im Zuge der Digitalisierung die Zahl der Print-Abonnements drastisch rückläufig. Niemand ist bereit dazu, für Nachrichten zu bezahlen, wenn man einen ähnlichen Newsfeed kostenlos auch über Facebook und Twitter beziehen kann. Der Qualitätsjournalismus steckt in der Krise. Ich habe neulich einen interessanten Podcast gehört: „Starving the Watchdogs“. Darin ging es um die bedrohten Existenzen der Regionalzeitungen. Die Aussichten sind düster: Es gibt keinen Platz für junge Journalisten mehr, die anders recherchieren und die Berichterstattung bereichern. Auch gibt es niemanden mehr, der Korruptionsfälle in der Kommunalverwaltung aufdecken oder der Veruntreuung von Steuergeldern nachgehen kann.
Das alles begünstigt eine Erosion der Wahrheit in den US-Medien, wie Du es vorhin genannt hast. Denn wenn diese Zeitungen untergehen, sind die Menschen zunehmend auf Fake News gestellt, die in der Regel keine Bezahlschranken haben und vom Algorithmus her so aufgestellt sind, dass sie vorgefertigte Meinungen bestätigen oder an rechtslastige Medienunternehmen wie FOX gekoppelt sind. So werden ehemals strenge Berichterstattungsstandards untergraben.
Hattest Du bei Deinem Abgang beim „Spiegel“ einen optimistischen Ausblick auf die Entwicklung der Medien in Deutschland? Glaubst Du, dass junge JournalistInnen hier noch die Chance haben durchzustarten, oder ist die Goldene Ära des Journalismus vorbei?
Klaus: Oh, hier in den USA gibt es immer noch phantastische Autoren: Jill Lepore über Geschichte. Anne Applebaum über Politik. George Packer zur Lage der Nation, und viele andere mehr. Es gibt großartige Investigativreporter: Judd Legums Blog „Popular Information” beschäftigt sich wie kein zweiter mit Facebook oder Lobbyismus, und ich liebe Ben Smiths Medienberichterstattung in der New York Times. Übrigens, am Rande: Smith liebt die eigenen Geschichten allerdings auch. Hast Du gelesen, was er in seiner Kolumne über Donald Trump und Mark Zuckerberg vor ein paar Tagen geschrieben hat?
Whitney: Nein, das habe ich noch nicht, hole das aber gleich nach.
Klaus: Der dritte Absatz: „But I was able to pry some of those details loose last week from White House officials along with current and former senior Facebook employees and people they speak to.” Die überflüssige Kunst des so ganz und gar nicht subtilen Eigenlobs! Na, egal: Die großen Namen, die Times und die Washington Post, haben sich robust und phantasievoll entwickelt, ihre digitalen Abonnement-Modelle funktionieren; aber die meisten lokalen und regionalen Medien leiden. Vox.com und BuzzFeed kämpfen darum, irgendwie Geld zu erwirtschaften, weil die Werbeumsätze eingebrochen sind.
Das schlimmste der vielen Probleme ist die Polarisierung: Bei den Rechten gibt es diesen Block aus Fox News, Breitbart, Rush Limbaugh und deren großer Anhängerschaft auf Social Media, der fröhlich Desinformation und Verschwörungstheorien verbreitet – zusammen mit einem Präsidenten, der seine Klientel darin bestärkt. Hm, Moment, was war Deine Frage…? … ja, ich war nicht allzu optimistisch, was in Deutschland ein gewisses Medium angeht, das sich lieber mit sich selbst beschäftigt als mit Journalismus oder Innovation, aber belassen wir’s dabei, keine Details …:-)
Geschäftsmodelle taumeln überall; viele Marken wie Die Zeit allerdings (Disclosure: Ich schreibe für Die Zeit), die Süddeutsche Zeitung und einige andere arbeiten so kreativ wie konzentriert und verkaufen sich entsprechend gut. Natürlich würde ich den Journalismus noch immer empfehlen, es gibt ja keinen abenteuerlicheren Beruf als unseren. Aber wir Journalisten sollten aufpassen und die Schlagkraft der Medien schützen, denn in vielen deutschen Medienunternehmen scheinen mir Sparmaßnahmen die einzige Strategie zu sein. Wie stehst Du dazu? Und, einmal persönlich gefragt: Was hat Dich nach Berlin verschlagen?
Whitney: Vielleicht war ich eben zu pessimistisch. Der „New Yorker“ zum Beispiel verkauft noch viele Printabos. Er ist weiterhin ein Leuchtturm des modernen Journalismus. In ihm werden die feinsten, tiefgründigsten und bestrecherchierten Storys veröffentlicht. Aber die Medien sind nicht die einzigen, die von der Digitalisierung gebeutelt sind und deren Geschäftsmodell am Ende ist. Die elektronische Underground-Musik zum Beispiel, mit der mich eine ganz persönliche Leidenschaft verbindet. Wer will schon für ein Produkt bezahlen, das man (wenn auch illegal) kostenlos herunterladen oder streamen kann? All diese Branchen suchen nach Lösungen, wie sie nachhaltig Erfolg haben können, wobei noch nicht ganz klar ist, wie diese aussehen. Es gibt da nicht das eine Patentrezept.
Kurioserweise war es der Journalismus, der mich nach Berlin gebracht hat. In New York gab es ein Überangebot an Autoren, die über Underground-Dance-Musik geschrieben haben. Ich dachte, ein Job als freiberufliche Auslandskorrespondentin würde mir einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Berlin war eine Utopie, ein Kreativzentrum mit billigen Lebenshaltungskosten. So konnte ich mit meinen unregelmäßig eintrudelnden Autorenhonoraren von „Vogue“ und „Pitchfork“ besser über die Runden kommen. Und ich wollte natürlich Party machen. Davon hatte ich schon vorher viel gehört. Du feierst selbst nicht gerade viel, oder? Um ehrlich zu sein, ich vermisse die Clubs zurzeit sehr.
Klaus: Hier gibt's zwei Probleme mit den Partys: a) Die Stadt, die niemals schläft, schläft tief und fest – es finden in Corona-Zeiten keine Partys statt; und b) mein Sohn, 16 Monate alt, wacht bevorzugt um fünf Uhr morgens auf, sobald er den ersten Schimmer Tageslicht erspäht, und dann ist er bereit, sofort loszuspielen. Was für seine Eltern bedeutet: Jeder Abend, an dem wir länger als bis zehn Uhr aufbleiben, hat fürchterliche Folgen.
Ich würde gerne Deine Ansicht hören, wie es um die Verantwortung der amerikanischen Medien steht: Was sollten Facebook und Twitter gegen Trumps Lügen und Verschwörungstheorien tun: sie kennzeichnen? Sie verbannen? Und wie sollten andere Medienmarken sich verhalten? (Und, am Rande: Waren es nicht in Wahrheit die Medien, die diesen Präsidenten erst erschaffen haben?)
Whitney: Ich bin stark dafür, dass die Verbreitung von Trumps Verschwörungstheorien und Lügen verboten wird. Das ist das Widersprüchliche in meinem Heimatland. Die USA wurde auf der Grundlage der Rede- und Pressefreiheit begründet, im ersten Verfassungszusatz steht geschrieben, dass die Botschaften frei verbreitet werden dürfen. Einerseits. Andererseits wurden Afroamerikaner in der Geschichte genau um dieses Grundrecht gebracht. In den Zeiten der Sklaverei waren sie von Bildung de facto ausgeschlossen und auch nach ihrer Befreiung gab es nur wenige von Schwarzen betriebene Zeitungen wie in Wilmington, North Carolina. Die Publikationen verschwanden wieder, nachdem die Artikel dafür benutzt wurden, einen Aufstand der weißen Rassisten im Süden anzuzetteln. Zur selben Zeit veröffentlichten die Zeitungen, die in Besitz von Weißen waren, aufrührerische Propaganda gegen Schwarze.
Damit kommen wir zu Gretchenfrage: Wie kommt es, dass es immer wieder weiße AmerikanerInnen sind, die Hassreden und Fake News verbreiten, ohne dass dies irgendwelche Folgen hat? Auch die Medien haben diesen Präsidenten geschaffen, der dieses andauernde Vermächtnis höchst provokativer, lautstarker, beleidigender Macht weißer alter Männer verkörpert und den öffentlichen Diskurs vergiftet. Dieser Irrsinn muss gestoppt werden. Hast Du eine Idee, wie das gehen könnte?
Klaus: Facebook und Twitter sollten nicht damit durchkommen, dass sie mit der Verbreitung von Lügen reich und reicher werden. Sie behaupten, nur eine Plattform zu sein, und es stimmt, das amerikanische Recht schützt sie. Aber der berühmte Paragraph 230 liegt auf gefährliche Art und Weise daneben: Natürlich sind diese Unternehmen Medienmarken, natürlich sind sie verantwortlich – zwar nicht für jeden Post, aber gewiss für ihre Algorithmen, die Demagogie und Lügen belohnen. Hinzu kommt: Wer politische Werbung nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft, führt Verschwörungstheorien wie „Obamagate“ herbei, die jeder Grundlage entbehren. Und, ja, die amerikanischen Medien haben Trump erschaffen: Sogar die Times und die Post waren fasziniert von ihm, fühlten sich unterhalten von ihm, gaben ihm Raum auf ihren Websites und in den Zeitungen, spielten Trumps Korruption und Rassismus herunter, während sie gleichzeitig Hillary Clintons E-Mail-Affäre aufbauschten. Viele Fernsehsender waren noch schlimmer: Für sie bedeutet Trump pures Geld. Ihn zu hassen oder ihn zu verehren trieb die Quoten bei CNN und Fox News nach oben. Sie alle behaupten heute, aus 2016 gelernt zu haben, aber ich kann das nicht erkennen. Immer heißt es Trump, Trump, Trump, überall, 24/7. Dieses Land schaut immer noch wie gebannt auf diese menschliche Sensation. Wie siehst Du die Rolle der Sozialen Medien hinsichtlich der Wahl 2020?
Whitney: Social Media wird die Wahlen im Jahr 2020 definitiv mitentscheiden, genau wie es die Wahlen 2016 entscheidend beeinflusst hat. Ich schätze aber, dass dieses Jahr weniger User auf Fake News hereinfallen werden. Der Cambridge-Analytica-Skandal, Ende 2017, die #MeToo-Bewegung, jetzt Black Lives Matter (BLM): all das hat Wirkung gezeigt – und die Community hat dazu gelernt. Die Art, wie sich die AmerikanerInnen auf Social Media bewegen, wie sie sich weiterbilden, andere erziehen und sich solidarisch zusammenschließen, zeugt vom Hunger nach politischer Umwälzung. Vier Jahre sind eine lange Zeit, und wir dürfen nicht vergessen, dass viele junge Menschen aus der auf Social Media aktivsten und politisch versiertesten Generation Z in diesem Jahr Erstwähler sind.
Klaus: Denkst Du, dass die Black Lives Matter-Bewegung erfolgreich sein wird?
Whitney: Da müssen wir Geduld haben – wie bei jeder Bürgerrechtsbewegung. Wir sind uns einig, dass in den Staaten die Rassentrennung nur offiziell beendet ist, sie aber auf die heimtückischste Weise weiterhin allgegenwärtig ist: am Arbeitsplatz, im Gesundheitssystem, in den Schulen, in den Gefängnissen. Ein naheliegender Erfolg wäre, wenn Polizeibeamte aufhörten, Schwarze zu ermorden, und die Kommunen ihre Polizei-Etats drastisch kürzten. Allein New York City hat etwa sechs Milliarden Dollar für die NYPD bereitgestellt. Dieses Geld wäre besser investiert in Jugendarbeit, sozialen Wohnungsbau und politische Bildung in Gemeinden, in denen Kriminalität oft als einzige Überlebenschance erscheint. Eine zweite Maßnahme ist Aufklärung: Schulen müssen eine Anti-Rassismus-Agenda verpflichtend in die Lehrpläne aufnehmen mit dem Ziel, das amerikanische – und hierzulande europäische – Vormachtdenken aus den Köpfen zu bekommen. Dann gäbe es keine Entschuldigung mehr für Ignoranz.
Zur Person
Klaus Brinkbäumer, geboren 1967 in Münster, ist Journalist und arbeitet zurzeit als ZEIT-Autor, Tagesspiegel-Kolumnist, Moderator und Filmemacher. Der langjährige „Spiegel“-Reporter führte Deutschlands wichtigstes Nachrichtenmagazin von Anfang 2015 bis Ende 2018 als Chefredakteur. Er gewann u. a. den Egon-Erwin-Kisch-Preis, den Henri-Nannen-Preis, den Deutschen Reporterpreis und wurde 2016 Chefredakteur des Jahres. Der profilierte Buchautor lebt zurzeit in New York City.
Als Journalistin schreibt Whitney Wei über Clubkultur und elektronische Musik. Sie studierte Ökonomie und Sozialgeschichte am Barnard College der Columbia University. Ihre Texte erschienen unter anderem im „Guardian“, „Vogue US“, „Pitchfork“, „Mixmag“ und „Highsnobiety“. Als Senior Editor bei der LOOPING GROUP verantwortet sie die Chefredaktion von „Telekom Electronic Beats“.
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