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Nr. 29
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Für mehr Sinn und Verstand in der Redaktionellen Gesellschaft


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Ping! | 14. Aug. 2020

Die Macht der Empathie


von Franziska Reich

Leitung Kommunikation bei Brot für die Welt


In wenigen Sätzen

Empathie, das einfühlende Verstehen des anderen, ist womöglich der mächtigste Hebel der Kommunikation – gerade in Zeiten des hart geführten Kampfes um Aufmerksamkeit in der Redaktionellen Gesellschaft, gerade in Zeiten der Corona-Pandemie, in denen Distanz emotionale Bindungen erschwert. Wer Menschen so anspricht, dass sie sich verstanden fühlen, kann sie für sich gewinnen. Wer in gesellschaftlichen Debatten den richtigen Ton trifft, kann diese prägen. Aber wenn Anteilnahme von Kalkül getrieben wird, wird aus Empathie Zynismus. Wo verläuft die Grenze? Und was bewirkt die Empathie bei dem, der ihr Ziel ist? Ob beim Werben um Spendengelder für Hilfsbedürftige oder in der direkten Kundenansprache: Das Instrument der Empathie gilt es sehr sensibel einzusetzen. Zwar sind die Gefahren groß – aber ebenso die Chancen.

Das Bedürfnis des Menschen nach Geschichten speist sich aus drei Motiven. Wir wollen schlauer werden. Wir wollen unterhalten werden. Und, ich behaupte, vor allem: Wir wollen berührt werden. Selbst im kältesten Charakter wohnt die Sehnsucht, sich zu spüren, mitzuempfinden, Freude, Hoffnung, Wut – das ganze Spektrum der Gefühle. Als Sendende nutzen wir alle ganz selbstverständlich diese Sehnsucht, damit unsere Botschaften durchdringen, zu Hause, im Büro, im öffentlichen Raum. Empathie ist der mächtigste Hebel der Kommunikation und, im besten Falle daraus folgend: von Aktion. Ich lese-sehe-höre. Ich fühle mit. Ich werde aktiv. 

Man könnte gar fragen: Wird der Mensch überhaupt aktiv – ohne die Motivation des Mitgefühls?

Im politischen Raum der jüngsten Zeit ist der ungeschlagene Meister der empathischen Kommunikation zweifelsfrei Barack Obama. Für den einstigen US-Präsidenten war Empathie weit mehr als ein kommunikatives Instrument – es war ein politisches Ziel, „nicht Sympathie, Empathie“, wie er einmal sagte, „und das bedeutet, in den Schuhen eines anderen zu stehen und durch seine Augen schauen zu können“. Obama beklagte wieder und wieder das „deficit of empathy“ im gesellschaftlichen Diskurs, das er für das bedeutsamere Problem hielt als das Haushaltsdefizit. 

Nun ist die Nutzung der Empathie als kommunikatives Instrument sehr verführerisch – gerade in Zeiten des hart geführten Kampfes um Aufmerksamkeit in der Redaktionellen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, in der Leid sofort und weltweit geteilt wird – zumindest als Social Media Post. Einer Gesellschaft, in der Ignoranz Schande und Anteilnahme öffentlichen Applaus bringt. In der ein empathischer Spot in 30 Sekunden eine altbackene Supermarkt-Kette in die Herzen eines ganzen Landes katapultiert. Sie ist verführerisch, die Macht der empathischen Kommunikation – reich an Chancen und, das auch: Gefahren.

Ohne Ihre Hilfe wird dieses Kind sterben!  

Spenden Sie, damit wir dieses Mädchen vor Beschneidung retten!

Wo verläuft die Grenze zwischen Aufklärung und Erpressung? Zwischen legitimem „Call to Action“ und zynischem Empathy Porn?

Der Kognitionswissenschaftler Fritz Breithaupt untersucht Auslöser und Blockaden von Empathie. Er hat die These aufgestellt, „dass Empathie erst mal nur gut ist für denjenigen, der Empathie empfindet. Und nicht unbedingt für denjenigen, mit dem man Empathie hat. Denn derjenige, der sie empfindet: Er lebt reicher. Er lebt mehr als ein Leben, er kann an anderen partizipieren.“ 

Und derjenige, dem die Empathie gilt, wird – missbraucht?

Wenn man sich Tag für Tag Gedanken macht über die passenden Narrative zweier Hilfswerke, so stellt sich die Frage nach Maß und Mitte und ethischer Haltung in jeder kommunikativen Aktion – in jedem Faltblatt, jedem Interview, jeder Reportage, jedem Post und jedem Mailing. Brot für die Welt und die Diakonie Katastrophenhilfe kämpfen gegen Hunger, Armut, akute Not, Diskriminierung, Verfolgung – in mehr als 1.000 Projekten mit hunderten Partnern, weltweit. Dafür brauchen sie Geld. Dafür müssen Menschen im reichen Norden bereit sein, unserem „Call to Action“ zu antworten – mit einer Spende. 

Aus Sicht von Spenden-abhängigen Organisationen folgt – in einfachster Deutung - die Umwandlung von Empathie in Aktion der Faustformel: Problem + Einzelschicksal = Aktion. Je personalisierter die Problem-Erzählung, desto größer die Bereitschaft zur Rettung. Der Mensch übernimmt lieber eine Patenschaft für den kleinen George im Kongo, als in einen Topf für Bildung zu spenden. Und er erfreut sich mehr an einem Brief vom kleinen George als am Bericht zu Stabilisierungs-Maßnahmen der Bildungssysteme im Globalen Süden. Das ist nicht verwerflich, sondern jedem fühlenden Wesen näher. Aber wie weit dürfen, wie weit sollten wir diesen Mechanismus für unsere Zwecke – und seien sie noch so moralisch erhaben - nutzen?

Gerade für Hilfsorganisationen mit einem breiten Spektrum an Zielen ist wichtig, Spenden zu erhalten, die breit eingesetzt werden können. Der Bedarf eines einzelnen Projekts ist endlich. Zweckgebundene Gelder dürfen nicht anderweitig eingesetzt werden. Empathie ist also der vielleicht mächtigste Treiber zur Aktivierung, bedarf aber des rationalen, kalkulierenden Korrektivs, um tatsächlich zum Guten zu führen. 
 
Paul Bloom, Psychologie-Professor an der University of Yale, hat 2016 ein ganzes Buch zur Limitierung der Empathie geschrieben, sein Titel: „Against Empathy: The case for rational compassion“. Sein Vorwurf: Das gute Gefühl der empathischen Handlung sei ungerecht. Es ziehe die Aufmerksamkeit auf Individuen, vernachlässige damit das große Ganze und könne zu fehlgeleiteter Güte, gar zu schädlichen Entscheidungen führen. Das Schicksal eines kranken Kindes könne so bewegen, dass man diesem einen Kind helfen wolle, andere Menschen in ähnlicher Situation aber weiter ignoriere. Damit, so die These, werden die komplexen, gesamtgesellschaftlichen Ursachen des Einzelschicksals weder erkannt noch bekämpft. Bloom untersuchte die Unterschiede zwischen Gefühl und Verstehen: Empathie fühle, was andere fühlen. Mitgefühl VERSTEHE, was andere fühlen. Seine Botschaft: Der Mensch sei fähig zu „rationalem Mitgefühl“, er könne Entscheidungen auf der Grundlage von Kosten- und Nutzenüberlegungen treffen – und diese seien den Entscheidungen aus rein empathischem Drang stets überlegen.  
 
Was bedeutet das nun für gelungene Kommunikation in unserer Redaktionellen Gesellschaft? Mit Sicherheit nicht, dass es unmoralisch wäre, komplexe Probleme entlang der Geschichten betroffener Menschen zu erzählen. Aber es bedeutet, dass wir das Instrument der empathischen Erzählung nicht überstrapazieren dürfen. Dass wir es kombinieren sollten mit tiefer Wissensvermittlung über die komplexen Zusammenhänge. Und, das vor allem: Dass wir es immer in Einklang bringen mit der Würde des einzelnen Menschen, über dessen Not wir berichten. Es reicht eben nicht, dass eine magere Frau mit süßem Kind und traurigem Blick auf der Müllhalde hockt, als bettelte sie um Almosen. Diese Frau hat einen Namen, hat eine Geschichte, hat eine Gegenwart und eine Zukunft. Diese Frau hat einen Charakter, einen eigenen Willen und eine eigene Kraft. Die Not, in der sie lebt, hat Gründe, viele davon wurzeln in unserem Leben hier in den Wohlstandsgesellschaften des Nordens. Ihre Armut ist Resultat von Machtgefälle, Wohlstandsverteilung, Klimawandel … – von so vielen Ursachen, die zu erzählen und zu erklären wichtig sind, damit nicht Empathie, sondern rationales Mitgefühl zu sinnvoller Handlung führt. 
 
Ja, auch der kälteste Charakter sehnt sich danach, sich zu spüren. Doch auch der empathischste Charakter wendet sich ab, wenn Schicksale missbraucht werden für egoistische Ziele. Empathie ist ein wertvolles Instrument der Kommunikation. Wir müssen es sensibel nutzen – im Sinne aller.

Zur Person

Franziska Reich, 46, hat zu Jahresbeginn die Leitung des Referats Kommunikation und Medien für die Hilfswerke Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe übernommen. Nach ihrer Ausbildung an der Berliner Journalistenschule arbeitete sie für das Wochenmagazin stern – als Parlamentskorrespondentin, Wirtschaftsredakteurin, Reporterin mit Schwerpunkt auf Portraits und Sozialreportage, schließlich als Autorin für alle Ressorts. Im Jahr 2014 wurde sie Textchefin des stern, drei Jahre später folgte der Wechsel in die Leitung des Ressorts Politik/Wirtschaft in Hamburg und des Berliner Hauptstadt-Büros. In ihrer neuen Funktion verantwortet sie nun sowohl die Print- als auch Digital-Angebote der beiden Hilfswerke.

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