Für mehr Sinn und Verstand in der Redaktionellen Gesellschaft
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Mehr Kommunikationsdesign, weniger Hochglanzkampagnen!
Kommunikationsdesigner und Art Director
©Bureau Erler
In wenigen Sätzen
Wie unter dem Brennglas lassen sich während der Pandemie Kommunikationsdefizite beobachten. Die Regierenden in Bund und Ländern scheitern beim Versuch, ihre Maßnahmen den Bürgerinnen und Bürgern schlüssig zu erklären. Doch die Erklärungskrise bietet Marken und Unternehmen auch die Chance, ihre Kommunikation zu überprüfen und zu verbessern. Wer in der Redaktionellen Gesellschaft erfolgreich zum Sender und Empfänger von Botschaften werden will, braucht ein kohärentes Kommunikationsdesign, sagt Johannes Erler, Art Director und Spezialist für Corporate Design und Corporate Identity von Unternehmen und Institutionen. Dazu zählt visualisiertes Design genauso wie eine klare Sprache.
Die Pressekonferenzen nach Ministerpräsidentenrunden mit der Bundeskanzlerin zur Lage der Pandemie sind für Rhetorik-Experten zu Lehrstunden missratener Kommunikation geworden. Durchhalteparolen, Bürokratendeutsch, immer wieder neue Regelungen – alles vorgetragen in komplizierten Schachtelsätzen, die man zwei Mal anhören muss, um sie auch nur ansatzweise zu begreifen. Die Bürgerinnen und Bürger bleiben ratlos zurück. Die rekordverdächtigen Likes und Retweets für die Ä-Twitternachrichten der Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und Reiner Haseloff zu den Bund-Länder-Verhandlungen sprechen Bände.
Den Regierenden gelingt es nicht, in der Pandemie überzeugend zu kommunizieren. Es fehlen zündende Ideen, schlagende Argumente und kohärente Strategien. Es fehlt aber vor allem eines: Klarheit. Das gilt nicht nur für die Sprache der Regierenden, es gilt auch für deren visuelle Kommunikation: Anfang März präsentierte die Bundesregierung die Schautafel eines Corona-Stufenplans. Sie sollte die fünf Öffnungsschritte aus der Krise dokumentieren und veranschaulichen, konnte ihren Zweck allerdings nicht einmal ansatzweise erfüllen, so unübersichtlich war sie formuliert und gestaltet. Dieser verwirrende Plan ließ die Bürgerinnen und die Bürger im Unklaren. Wesen und Sinn von Kommunikation ist jedoch immer: klar und verständlich zu sein.
Der Stufen-Plan der Bundesregierung
In der Pandemie erwecken die Regierenden zudem den Eindruck, erklären zu wollen, was sie scheinbar selbst nicht durchdrungen haben. Das muss schiefgehen. Und ausgerechnet der zurzeit fast unsichtbare Bundesinnenminister Horst Seehofer mahnte zuletzt einfachere Corona-Regeln an, weil die bisherigen „zum Teil recht kompliziert und nicht immer logisch“ seien. Welch glasklare Analyse!
Nun ist es einfach, auf Politiker:innen zu schimpfen, noch dazu in Zeiten der Pandemie. Zu viele Bürgerinnen und Bürger gerieren sich gerade wahlweise als Virolog:innen, Epidemiolog:innen oder Bundeskanzler:innen. Ihre Empörung und Wut jedoch teile ich meistens nicht. Vielmehr sehe ich die Erklärungskrise der Regierenden als Chance, unsere Art der Kommunikation zu überprüfen und zu verbessern. Das gilt nicht nur für den Politikbetrieb, sondern auch für Verbände, Stiftungen, NGOs – und Unternehmen.
Fehlende visuelle Kohärenz
Tatsächlich ist Kommunikation ein fabelhafter Gradmesser für den inneren Zustand von Unternehmen und Institutionen. Die einfache Grundregel lautet: Wenn vorne raus nichts zusammengeht, sieht es hinter den Kulissen in der Regel nicht viel anders aus – was sich über kurz oder lang auf die Qualität des Produktes niederschlägt. Wer nicht gut kommuniziert, ist nicht gut organisiert. Und wer nicht gut organisiert ist, kann nicht gut produzieren.
Visualisierte Kommunikation, also die gestaltete Form dessen, was Unternehmen und Institutionen zu Inhalten und Produkten an User:innen oder Käufer:innen kommunizieren möchten, nennt man Kommunikationsdesign. Auch Sprache ist Teil des Kommunikationsdesigns. Aber Kommunikationsdesign ist eben auch ein Spiegel der inneren Verfassung von Unternehmen und Institutionen. Ein Analyse-Tool. Die Möglichkeit, auf andere oder sich selbst zu schauen und dabei Defizite und Potenziale zu entdecken.
Die Art und Weise, wie kommuniziert wird, lässt eine Menge Rückschlüsse auf Organisationen und deren Organisiertheit zu. Man muss sich nicht immer teure Berater ins Haus holen, um den Gesamtzustand eines Unternehmens zu analysieren. Oft reicht ein Blick auf die Kommunikation und das Kommunikationsdesign. Ich beobachte das immer wieder, wenn ich gebeten werde, das Corporate Design eines Unternehmens zu gestalten. Ich schaue mir dann zunächst an, wie das Unternehmen bisher aufgetreten ist. Und ich stelle ein paar Fragen.
Einer meiner Workshops trägt den Namen „Alles auf den Tisch“. Dafür werden sämtliche Kommunikationsmaßnahmen des Unternehmens auf einem großen Tisch ausgebreitet und anschließend gemeinsam erläutert, von der Visitenkarte bis zur Kampagne. Das geht schnell, bringt Spaß – und ist häufig sehr erhellend.
Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie wenig visuelle Kohärenz selbst in bekannten Unternehmen mit komplexen, teuren Erscheinungsbildern zu finden ist. Die anschließende Diskussion ergibt nicht selten, dass hinter der uneinheitlichen Kommunikation eine unverstandene Kommunikationsstrategie steckt, die von unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen Abteilungen unterschiedlich interpretiert wird. Man zieht nicht an einem Strang und kommuniziert anschließend nicht konsistent.
Dabei ist einheitliches Auftreten mit klar erkennbaren Botschaften unerlässlich. Denn mit der Freundschaft zu Marken verhält es sich so wie mit der Freundschaft zu Menschen. Freundschaft gründet auf Vertrauen. Und Vertrauen auf Verlässlichkeit. Wer aber an jedem Tag mit einer neuen Botschaft aufwartet, dem wird diese Verlässlichkeit schnell abgesprochen.
Eine andere Übung nenne ich „von bis“: Mitarbeiter:innen werden gebeten, die gewünschte Wahrnehmung ihres Unternehmens in einer Liste zwischen etwa 50 Begriffspaaren einzuordnen. Von laut bis leise, von hell bis dunkel und so weiter. Im ersten Schritt der Auswertung geht es aber noch nicht um jene Kommunikationsstrategie, die schließlich daraus entstehen wird. Erst mal geht es um die Klärung der Frage, ob die gewünschte Wahrnehmung von allen Beteiligten einheitlich begriffen und kommuniziert wird. Ob alle dieselbe Sprache sprechen. Auch hier gibt es immer wieder große Überraschungen.
Politikkommunikation ist 2021 bei schnöder Werbung angekommen
Bevor ich also – zum Beispiel – ein Erscheinungsbild entwickele, versuche ich mir einen Überblick über die innere Verfassung des Unternehmens zu verschaffen. Sehen alle Beteiligten ihr Unternehmen gleich? Haben alle die gleichen Ziele? Ist die Kommunikation einheitlich und verständlich? Der Zugang zu diesen Informationen erfolgt jedoch nicht mit den Mitteln einer klassischen Unternehmensberatung über komplizierte, oft Ängste schürende Evaluationen mit abschließenden Berichten, sondern über die einfache, gemeinsame Analyse des Kommunikationsdesigns und der Kommunikation im Unternehmen. Da machen alle gerne mit.
Für meine zielgerichtete Arbeit sind solche Grundlagen wichtig. Nur so kann ich erfolgreich sein. Ansonsten verödet Design an der Oberfläche – und bringt nichts, außer vielleicht schön zu sein. Wer dagegen als Unternehmen wissen möchte, wie es um das eigene Kommunikationsvermögen und somit letztlich um die eigene Produktivität bestellt ist, der sollte sich so einem Verfahren stellen.
Zurück zur chaotischen Pandemie-Kommunikation der Regierenden. Die nämlich wirft nur ein Schlaglicht auf den Umstand, dass es in Deutschland seit vielen Jahren schon kaum Beispiele für eine kohärente Politikkommunikation gibt. Zu schnell wechselt das Personal, zu schnell ändern sich Ausrichtungen und Prioritäten, zu sehr versucht man offenbar auch, dem zu entsprechen, was Wählerinnen und Wähler hören möchten. Wenn Politik jedoch zur opportunistischen Dienstleistung verkommt, wird einheitliche, verständliche Kommunikation unmöglich. Den einhergehenden Vertrauensverlust spürt man täglich – er ist mit Wahlumfragen belegbar.
Stattdessen wird das Vertrauensdefizit mit Hochglanzkampagnen kaschiert, die kaum noch Inhalte transportieren. Im Jahr 2021 ist Politikkommunikation dort angekommen, wo gute Produktkommunikation längst nicht mehr sein will: bei schnöder Werbung, die auf bloßen Behauptungen gründet. Genau das funktioniert im Zeitalter der Redaktionellen Gesellschaft jedoch nicht mehr. Die aktuelle Corona-Kommunikation hat diese bisher eher schleichende Erkenntnis deutlich beschleunigt. Doch statt klarer, einheitlicher Information erleben wir weiterhin substanzlose Durchhaltekampagnen. Das ist zu wenig für Institutionen, die den Anspruch haben, zu führen.
Vielleicht sollte man einfach mehr Comics lesen: In „Asterix bei den Schweizern“ leidet der Compliance-Beauftragte Julius Cäsars, Quästor Claudius Incorruptus, unter einer Vergiftung durch den dekadenten Statthalter Agrippus Virus (sic!). Um von der eigenen Untat abzulenken, schickt Virus mehrere Leibärzte zu Incorruptus, die jedoch fundamental unterschiedliche Meinungen vertreten, wie dem Leiden beizukommen sei („Man muss ihn schröpfen!“, „Die Arterien brauchen Luft!“, „Man mische gestoßenes Elfenbein mit Taubenblut!“). Und natürlich ist diese versammelte Fakenews-Truppe ganz in Virus’ Sinne, denn der will ja gar nicht helfen. Sie illustriert in einer einzigen Zeichnung jedoch auch, was grundsätzlich gilt: Zeige mir deine Kommunikation und ich sage dir, ob die Organisation dahinter funktioniert. Die krakeelenden Leibärzte als unbestechliches Abbild eines kaputten Systems. So einfach, so wahr.
Zur Person
Johannes Erler, geboren 1965 in Hamburg, ist als Kommunikationsdesigner und Art Director Spezialist für Corporate Design und Corporate Identity von Unternehmen und Institutionen. Johannes Erler ist ein enger und langjähriger Partner im Netzwerk der LOOPING GROUP. Mit seinem Bureau Johannes Erler arbeitet er auch in den Bereichen Editorial Design und Webdesign. Erler ist einer der meistausgezeichneten deutschen Grafik-Designer, Mitglied zahlreicher Designjurys, Mitglied im ADC (Art Directors Club), Gastdozent, Sprecher auf Kongressen und Autor mehrerer Bücher über Design. Mit Dominik Wichmann, einem der Gründer der LOOPING GROUP, verbindet Erler eine langjährige Freundschaft, die immer wieder zu erfolgreicher Zusammenarbeit geführt hat.
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