„Hier fehlt es definitiv an Speed“  

Was nützt organisches Content Marketing? Lydia Kind von Westwing im Interview

Text von

Nadja Dilger, Senior Editor LOOPING ONE LINKEDIN
25.01.2024 5 MINUTEN

Lydia Kind, Vice President Brand & Creative bei Westwing, erklärt im Interview mit P!NG, warum Storytelling mehr User erreicht, wie der daraus entstandene Content organisch wächst und was ihre drei besten Content-Tipps sind.

Immer mehr User, immer mehr Marken und immer weniger Klicks: Im Internet kämpfen Marken, Medien und Creators um die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen. Um Klicks und Verkäufe. Um Image und Kundenbindung. Wie gelingt das? Vor allem nachhaltig?  

Westwing setzt seit der Gründung im Jahr 2011 Content Marketing ein und erreicht damit Millionen von potenziellen Käufer:innen weltweit. Lydia Kind arbeitet als Vice President Brand & Creative bei Westwing und kümmert sich unter anderem um die kreative, visuelle und inhaltliche Ausrichtung. Mit der Markenexpertin und einstigen Journalistin haben wir über die Kraft von Storytelling im Marketing gesprochen und was ihr im Journalismus heutzutage fehlt. 

Frau Kind, wie Westwing-Gründerin Delia Lachance begannen Sie einst im Journalismus. Wie kommt man von der klassischen Redaktion ins Marketing?

Lydia Kind: Bei allem, was ich in meiner Berufslaufbahn gemacht habe, ging es mir immer ums Geschichten erzählen – bei der Fotografie, beim Kommunikationsdesign, beim Journalismus. Als Moderedakteurin habe ich überwiegend Trends in Geschichten eingebettet und sehr eng mit Marken zusammengearbeitet. Dabei habe ich gesehen, dass die besten Marken die besten Geschichten erzählen. Diese Liebe zum Storytelling hat mich dann einen Schritt weitergebracht – zu Diesel, Zalando und letztlich zu Westwing.  

Inwiefern unterscheiden sich die Geschichten für Marken im Vergleich zum Journalismus?

Für Marken muss man noch stärker Geschichten erzählen, die die Konsument:innen interessieren. Die relevant sind, die Marke aufladen. Und zwar nicht nur einmal, sondern immer wieder. Wenn man für eine Marke kommuniziert, dann geht es viel um strategische Fragen: Wie definieren wir die Marke? Wie kommunizieren wir die Marke zu unseren Konsument:innen? Wie halten wir die Marke konsistent am Leben? Und das hat sich im Laufe der Zeit durch Social Media und durch Communities noch sehr viel mehr verstärkt. Im Modejournalismus sind hier vergleichsweise Trends noch stark im Fokus. Da geht es darum, diese möglichst inspirierend zu vermitteln.

Der aktuelle Slogan von Westwing lautet Live beautiful. Welche Geschichte erzählen Sie damit?

Im Kern geht es bei Live beautiful darum, wie unsere Konsument:innen mit unseren Produkten das Leben ein Stück weit schöner gestalten können. Beispielsweise mit einer Lampe, die für ein warmes Gefühl sorgt, wenn man nach Hause kommt oder der liebsten Tasse, in der der morgendliche Kaffee besser schmeckt als irgendwo anders. Es geht vielmehr um das Leben als um das Produkt – also darum, wie das Produkt angereichert wird. Jede:r hat die Möglichkeit, sich sein ihr Zuhause nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Ganz gleich, ob sich das Zuhause in einer WG in Hannover befindet oder in einem Townhouse in London: Die Diversität ist dabei der entscheidende Faktor. Wir geben nicht vor, wie man zu leben hat. Wir sagen nicht: Kauf! Jede:r muss für sich selbst entscheiden, was ein schönes Leben bedeutet. Wir unterstützen lediglich mit unseren Produkten.

Brechen wir die Geschichten auf Formate runter, sprechen wir hier von Homestories auf Social Media, Tischinspirationen via E-Mail-Newsletter und Make-Overs auf der Webseite. Wie entstehen diese Formate bei Ihnen konkret?

Wir behandeln jeden Content channelspezifisch, um eine native Kommunikation zu garantieren. Bei unseren Produktkampagnen geht es hauptsächlich darum, das Produkt im besten Licht erstrahlen zu lassen. Die Qualität unserer Produkte steht hier klar im Vordergrund und wird durch Styling, Licht und Bildaufbau unterstrichen. Wir haben visuelle und Brand-Guidelines erarbeitet, an denen sich die Teams orientieren, um eine konsistente Kommunikation auf Premiumniveau zu garantieren. Bei unseren Homestories steht Authentizität im Vordergrund. Wir besuchen echte Menschen in ihrem Zuhause und zeigen, wie sie mit unseren Produkten leben. Da geht es hauptsächlich darum, einen Einblick in diverse Wohnsituationen zu geben und damit unsere Konsument:innen zu inspirieren. Das Storytelling orientiert sich also an den Protagonist:innen.
Wenn externe Creators (VIPs, Influencer, Brand Ambassadors) für uns Content erstellen, lassen wir mehr kreativen Freiraum. Da gibt es dann ein Briefing, basierend auf dem Live Beautiful-Narrativ – aber die Exekution kommt authentisch von den jeweiligen Partner:innen.

Welche Vorgaben machen Sie?

Sie haben im Prinzip das Briefing: Der Content muss zur Marke wie zu ihnen passen – was natürlich mit der Auswahl des Creators steht und fällt. Am Anfang dachten wir: Lass es uns versuchen und wir schauen, wie qualitativ hochwertig der Content ist, der dabei rauskommt. Und ich muss sagen: Bisher wurden wir nicht enttäuscht.

Und das alles organisch?

Ja, wir sind organisch gewachsen. Das, was wir organisch machen, ist getrieben durch eine wahnsinnig hohe Quantität. Wir haben circa 700 Content Pieces, die wir wöchentlich auf unseren diversen Kanälen publizieren. Wobei wir auf Instagram bereits reduziert haben, da wir mehr auf die Qualität der Kommunikation gehen wollen: Storytelling-Approach und Relevanz für die Premium-Community. Dennoch ist die Anzahl an Content natürlich ein großer Treiber für das organische Modell. Wir haben auch Performance Marketing für rein produktbezogene Inhalte.

Was ist so gut am organischen Wachstum?

Dass er authentisch ist! Content ist sehr, sehr viel relevanter, wenn er eine Geschichte erzählt, die mich interessiert. Ich gehe nicht auf Social Media, um sponsored Posts zu sehen. Sondern weil ich inspiriert werden will! Weil ich Trends sehen will! Weil ich wissen will, was meine Freund:innen teilen! Und deswegen ist organischer Content unglaublich wichtig und relevant. Nur so lässt sich eine Marke mit echten Geschichten authentisch positionieren.

Berichten zufolge hat Westwing 2023 das Wachstum der Firma gesteigert. Die Community scheint es Ihnen zu danken.

Wir haben mit 11 Millionen Followern auf all unseren Kanälen eine wirklich große und globale Community. Wir bekommen wöchentlich bis zu 5.000 Messages, auf die wir auch alle antworten. Es gibt eine sehr große Liebe für die Marke – und das auch dank unseres internen Community Managements.

Damit sprechen Sie etwas an, das bei einigen Medien immer noch nicht so weit ausgebaut ist.

Ja, blicken wir auf Mode- und Lifestyle-Journalismus und wie sich der Markt entwickelt hat, fehlt es hier definitiv an Speed. Durch unsere Community und die Zusammenarbeit mit Creators können wir natürlich unheimlich schnell sein, viel erzählen und immer wieder relevant sein – jeden Tag gibt es auf unseren Kanälen etwas Neues. Das ist schon etwas, was gerade im Modejournalismus aktuell Mangelware ist. Das meiste passiert auf den Kanälen der Creators, nicht auf den Seiten der Modemagazine.

Ein älterer Post von Westwing zeigt Ihre Wunschliste für Weihnachten: Auf dem Instagramkanal teilen Sie mit, dass Sie gerne einen kegelförmigen Wasserkocher in Chrom hätten. Wie passt der in Ihr Konzept?

(Lacht) Ich habe wirklich lange überlegt, was ich für meine Wunschliste teilen sollte. Und ich habe mich dafür entschieden, Dinge zu wählen, die für mich gut funktionieren – Stichwort: Authentizität! Ich liebe das Design des Wasserkochers von Alessi, auch wenn er vielleicht nicht ganz so praktisch ist, da er nicht elektrisch ist, und die meisten User schon einen haben. Aber genauso funktioniert meine Wohnung – alles ist sehr kuratiert.

Was ist der Plan B von Westwing, wenn die Konsument:innen mal wirklich alles haben?

Ach, wir haben ja nicht nur Wasserkocher, sondern auch Kerzen, Accessoires, Sofas und so weiter. Es ist zwar nicht wie bei der Mode, dass sich der Trend alle halben Jahre ändert und man jetzt unbedingt diese Wollhose braucht, die man letztes Jahr noch nicht hatte. Aber nichtsdestotrotz gibt es immer auch saisonale Dinge und lebensverändernde Momente – Heirat, die Geburt des ersten Kindes, der Einzug in eine neue Wohnung. Es gibt sehr, sehr viele Momente im Leben, die sich verändern. Und nicht zu vergessen: der Geschmack!

Die drei wichtigsten Content-Tipps von Lydia Kind: 

  1. Finde eine gute Balance zwischen konsistenter Markenkommunikation und freier Contentgestaltung – um authentisch zu bleiben, um auch mal Content zu kreieren, der anders aussieht. 

  2. Nimm deine Community ernst – sieh dir die Kommentare an; wie die Leute über die Marke sprechen, was sie von der Marke erwarten.  

  3. Verbinde dich mit Expert:innen – sieh dir themenbezogene Communities an, checke, wer die Autorität dort hat und connecte dich mit den Expert:innen, um diese Community besser zu erreichen.  

Zur Person

Lydia Kind ist seit Februar 2023 Vice President Brand & Creative bei Westwing. Zuvor war sie unter anderem als Global Creative Director bei Zalando tätig und als Senior Marketing Manager bei Diesel. Ihre erste journalistische Erfahrung sammelte sie beim Lifestyle Magazin Max. Noch heute arbeitet sie ehrenamtlich als Journalistin und Fotografin für die gemeinnützige Organisation Habitat for Humanity International

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