„Als Marke in der Mitte zu bestehen, wird immer schwieriger“

Interview von

Dominik Wichmann, co-Founder der LOOPING GROUP LINKEDIN

27.06.2025 5 MINUTEN

  • Das Münchener E-Commerce-Unternehmen Mytheresa zählt zu den größten Online-Multi-Brand-Luxushändlern der Welt und vertreibt weltweit Kleidung, Schuhe, Accessoires, Lifestyle-Produkte und Schmuck.

  • Im Interview erzählt CEO Michael Kliger von den massiven Verschiebungen zwischen Marken und Handel, warum sich Deutsche mit Luxus schwer tun und was Urvölker mit Fashion zu tun haben.

Herr Kliger, wenige Branchen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten so verändert wie die Modebranche. Was waren aus Ihrer Sicht die größten Gamechanger - und welche Auswirkungen hatten sie?


Die wohl tiefgreifendste Veränderung ist die zunehmende Vertikalisierung der Branche. Heute prägen Monobrand-Stores wie an der Maximilianstraße in München oder der Via Montenapoleone in Mailand das Bild. Der Handel konkurriert zunehmend mit den Marken selbst, die ihre Produkte direkt vertreiben. Das war vor 20 Jahren noch undenkbar – damals konnte man Marken ausschließlich im Handel kaufen. Für diesen Wandel trägt der Handel selbst eine gewisse Mitschuld: Marken fanden sich häufig in Umfeldern wieder, die ihnen nicht gerecht wurden. Das hat dazu geführt, dass Unternehmen die Kontrolle über ihre Vertriebskanäle zurückgewonnen haben – und der Handel an Bedeutung verloren hat.
Ein zweiter großer Umbruch ist die dramatische Polarisierung – sowohl im Handel als auch bei den Marken. Wer heute in der Mitte zwischen Masse und Qualität agiert, hat es zunehmend schwer. Wenn wir auf Deutschland blicken: Kaufhäuser – braucht es die überhaupt noch? Auch Marken im mittleren Preissegment tun sich schwer. Selbst im gehobenen Luxusbereich geraten viele unter Druck. Heute gilt oft: Entweder ist eine Marke wirklich Luxus – oder sie konkurriert über den Preis. Es herrscht heute die Logik „The winner takes it all“– als Marke in der Mitte zu bestehen, wird immer schwieriger. Denn das Preis-Leistungs-Argument ist zwar vorhanden, aber emotional schwer zu vermitteln.

Ihr Standort ist Deutschland, aber Ihr Unternehmen liefert in über 130 Länder. Worin unterscheidet sich denn der High Luxury Market – auch außerhalb des Fashion-Bereichs – in Deutschland, Österreich und Schweiz im Vergleich zu den anderen großen Märkten der Welt?

Ich bediene mich da gern eines Stereotyps, das jedoch viel Wahres enthält:
Im DACH-Raum tun wir uns mit Luxus schwer, sei es auf Grund der eigenen sozialistischen, protestantischen oder kulturellen Prägung. Deswegen verkauft man Luxus in diesen Ländern über das Qualitätsargument. Man sagt also: „Das ist so teuer, weil es so hervorragend verarbeitet “ Und das stimmt ja oft auch.
 

Und in den anderen Ländern?

In den eher elitär-katholisch geprägten Ländern verkauft man Luxus, weil’s einfach gut aussieht. Da muss man nicht sagen: „Guck mal, wie sauber die Naht genäht ist.“ Sondern: „Der Anzug sieht einfach super aus und wenn ich ihn trage, ich auch.“ Dieses Argument reicht in anderen Ländern völlig aus.

Tut man sich mit Luxus hierzulande schwer?


Viele unserer Kunden kaufen Stücke, die sie in Deutschland oder der Schweiz gar nicht tragen – oder fahren Autos, die sie dort nicht öffentlich nutzen würden. Es „gehört sich“ einfach nicht.


Aber zeigt der Besitz eines höherpreisigen Produkts nicht ein gewisses Qualitätsbewusstsein? 

Qualität ist oft ein Hilfsargument, um nicht sagen zu müssen: „Ich will das einfach, es macht mir Freude.“ Höherer Luxus verkauft sich wegen emotionaler, nicht wegen rationaler Bedürfnisse. Es gibt keinen rationalen Grund, um für eine Luxus-Uhr zweihunderttausend Euro, für ein Auto vierhunderttausend Euro und für eine Tasche zwanzigtausend Euro auszugeben.

Bitte nicht missverstehen: Das heißt eben nicht, dass der Kauf solcher Produkte unwichtig oder gar verwerflich ist. Diese Produkte erfüllen emotionale Bedürfnisse. Wenn jemand durch eine Uhr oder ein Kleidungsstück ein gutes Gefühl bekommt, ist das etwas Großartiges. Es zeigt, was unsere Branche leisten kann. Die zentrale Frage ist also: Was ist mir ein gutes Gefühl wert? Was bedeutet es mir, mich attraktiv oder erfolgreich zu fühlen? Was ist es einem wert, sagen zu können: „Ich fühl' mich damit attraktiv, ich fühl' mich damit erfolgreich?“ Diese emotionale Ebene muss man im Konsumgüterbereich ansprechen, gerade im höherpreisigen Segment. Die Kaufentscheidung darf nicht lauten: „Brauche ich noch Kaffee?“ Sondern: „Welchen Kaffee serviere ich, wenn mein Chef kommt?“ So verkaufte man schon früher Kaffee, wenn auch in einem tradierten Rollenbild.
 

Welche Rolle spielt Kommunikation für das Erzeugen dieser emotionalen Bindung und für den Erfolg in der globalen Luxus-Zielgruppe?

Eine entscheidende – vor allem, wenn man Kommunikation umfassend versteht: als das Erzeugen eines positiven Bildes. Vom Produkt, aber auch vom Kunden. Das beginnt bereits bei einem attraktiven Packaging und und zieht sich durch den gesamten Kaufprozess. Der Kunde muss sich denken: „Ich kaufe etwas in einem coolen Laden, und weil der Laden so cool ist, trage ich auch diese Einkaufstüte mit Stolz.“ Nur wenn wir es schaffen, dieses Bild zu erzeugen, kaufen stilbewusste Kunden bei uns ein, obwohl sie das Produkt auch anderswo bekommen könnten. Mode ist Tribalismus, oft ein Ausdruck einer Art Stammeszugehörigkeit. Es geht um das uralte Bedürfnis des Menschen, Teil einer Gruppe zu sein. Schon der Steinzeitmensch musste sich einem Stamm oder Clan anschließen, wenn er überleben wollte. Urvölker malten und malen sich an, um ihre Gruppenzugehörigkeit zu zeigen. Für unser Unternehmen gilt: Unsere Kunden sollen diese „Stammeszugehörigkeit“ idealerweise nicht nur durch das Tragen eines Markenlogos zum Ausdruck bringen, sondern schon dadurch, dass sie das Produkt bei Mytheresa kaufen. 

Das sind hohe Ansprüche.

Ja, und die sollte man in der richtigen Reihenfolge angehen. Erst muss die Webseite reibungslos funktionieren, dann muss das Paket rechtzeitig kommen, der Checkout muss simpel sein undsoweiter. Aber wer sich differenzieren will, muss sich diesen Ansprüchen stellen und die emotionale Ebene meistern. Das ist für mich die wahre Kommunikation.

In Ihrem Office im Münchner Osten laufen im Foyer Filme von gecharterten Luxusyachten, auf die Sie einen exklusiven Kundenkreis zu Veranstaltungen einladen.  Wie wichtig sind solche Events für Sie und vor allem deren mediale Abbildung?

Solche Events sind essenziell, um die beschriebenen Community-Effekte zu erschaffen. Wir machen so etwas aber sehr selektiv, denn es ist ganz klar: Kunden, die online zu Mytheresa kommen, haben nur wenig Zeit zur Verfügung. Das respektieren wir. Wenn wir aber wollen, dass sie an einem Event teilnehmen, müssen wir uns schon anstrengen – denn unsere Kunden brauchen uns nicht für Champagner oder ein gutes Steak.
Deswegen versuchen wir, ganz besondere Anlässe zu schaffen, bei denen die Gäste denken: „Wow, tolle Menschen – mit Mytheresa bin ich anscheinend Teil der richtigen Community.“ Diese Art der Selbstvergewisserung – und deren mediale Darstellung – ist unser Ziel. 
 

Zur Person

Michael Kliger ist Group CEO von LuxExperience und verantwortet die Gesamtstrategie und das operative Geschäft der Gruppe. Unter seiner zehnjährigen Führung entwickelte sich Mytheresa zu einer der weltweit führenden digitalen Multimarken-Plattformen für Luxusgüter und schloss 2021 erfolgreich den Börsengang an der New Yorker Börse (NYSE) ab. Zudem war Kliger auch die treibende Kraft hinter der Übernahme von YOOX NET-A-PORTER.
 
Vor seinem Eintritt bei Mytheresa war Michael Kliger als Vice President International bei eBay Enterprise tätig und verantwortete dort alle Vertriebs- und Marketingaktivitäten in Europa und der Region Asien-Pazifik. Seine Karriere umfasst außerdem Positionen als Managing Director und in leitender Funktion bei Unternehmen wie Accenture, First Capital Partners und Real Holding. Michael Kliger ist ehemaliger Principal bei McKinsey & Company, wo er die deutsche Retail Practice leitete.

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