Das ist nicht

das Metaverse

(Noch nicht.)

Text von

Ben Seegatz, Data Scientist LOOPING GROUP LINKEDIN

Foto von

Michael Nagle/Bloomberg via Getty Images
30.06.2022 7 MINUTEN

  • Wer zehn Menschen fragt: „Was ist das Metaverse?“, der wird vermutlich zehn verschiedene Antworten bekommen.

  • Die Meinungen in der Redaktionellen Gesellschaft reichen von purer Skepsis bis zu Visionen einer virtuellen Parallelwelt, in der alle Menschen den Großteil ihres Lebens verbringen werden.

  • Zeit für einen Reality Check: Was ist bereits im Metaverse möglich, welche Versprechen sind nur heiße Luft, und wo liegen die größten Hürden?

Eine virtuelle Parallelwelt, in der alles möglich ist – solange man es sich leisten kann. In der die Reichen sich in exklusiven Online-Clubs vergnügen, virtuelle Traumschlösser bauen und ihre Avatare prunkvoll ausstatten, während das gewöhnliche Volk an seinen pixeligen Avataren erkennbar ist. Kommt das jemandem vertraut vor? So beschreibt der Autor Neil Stephenson in seinem Roman „Snow Crash“ das Metaverse. 

Stephenson war der erste, der 1992 den Begriff „Metaverse“ prägte. In seinem Roman beschreibt er eine anarchokapitalistische Dystopie, aus der die Menschen immer wieder in das Metaverse fliehen. Mit seiner Science-Fiction-Geschichte war Stephenson nicht weit weg von NFTs und den ersten Metaverse-Gehversuchen von Unternehmen wie Meta. 

Ansätze, das Metaverse zu erklären, gibt es seit seinem Roman viele. Die populärste Definition kommt von Matthew Ball. Sein Essay „The Metaverse: What It is, Where to Find it, Who Will Build It and Fortnite“ ist längst Pflichtlektüre für Meta-Mitarbeiter. Darin beschreibt Ball unter anderem sieben Kernattribute. Demnach ist das Metaverse:

  • beständig,
  • live, 
  • ohne Teilnehmerobergrenze, 
  • mit einer eigenen Wirtschaft, 
  • transzendent zwischen virtueller und physischer Realität, 
  • interoperabel,
  • und von Inhalten geprägt, die von Unternehmen oder Individuen erstellt werden.

Folgt man seiner Definition, dann sind die Anwendungen, die heutzutage als „Metaverse“ vorgestellt werden, noch keine richtigen Metaversen. Was ist bereits möglich – und welche Hürden müssen Zuckerberg & Co. lösen, bevor es wirklich ein wahres Metaverse geben wird?

Die Technik ist noch nicht so weit

Erinnern Sie sich noch an Google Glass? Also die Brille, die wie ein auf der Nase tragbarer Computer auf den 1.3cm-Display-Brillengläsern die Welt ständig und überall als Augmented Reality anzeigen sollte? Google Glass wurde 2012 als das neue Must-Have-Spielzeug angekündigt. Time Magazine nannte das Gadget eine der besten Erfindungen des Jahres. Beyoncé, Prince Charles und Oprah Winfrey trugen sie. Die Simpsons brachten eine Folge über „Oogle Goggles“. Alle sollten Google Glass tragen.

Aber Google Glass scheiterte. Es war die vielleicht größte Blamage, die Google je herausbrachte. Das Produkt wurde unfertig und mit zahlreichen Bugs auf den Markt geworfen. Vor allem aber bekamen die Menschen Angst, plötzlich überall gefilmt zu werden, in der Bar, auf der Demo, auf der öffentlichen Toilette. Die Höflichkeitsregeln von Google – wie: sei kein „Glasshole“ – halfen da auch nicht mehr.

„Sei kein Glasshole“

Seit dem Google-Glass-Debakel hat sich die Technik deutlich weiterentwickelt – und auch das Verhältnis der Gesellschaft zu Fragen wie Privatsphäre, Bildrechten und den Grenzen zwischen online und offline. Trotzdem ist das Debakel eine Warnung, die Innovationslust der breiten Bevölkerung nicht zu überschätzen, und ihre Sorgen nicht zu unterschätzen.

Noch ist die Technik auch heute nicht weit genug, um ein echtes Metaverse-Erlebnis zu ermöglichen. Schon das Tragen einer VR-Brille führt bei vielen Nutzer:innen zu starker Übelkeit. Virtuelle Welten zu erschaffen ist zudem noch hochkomplex, teuer, und aufwändig. Um ein Beispiel zu nennen: Die Avatare in den Demo-Versionen von Meta und Microsoft haben noch nicht einmal Beine. Sie sind schwebende Torsos. Denn noch ist es sehr schwierig, Beinbewegungen nur mit einem Headset zu erfassen. Selbst vermeintlich einfache Fragen wie diese sind noch nicht massentauglich gelöst.

Ein wichtiger Aspekt des Metaverses ist auch, dass alle Nutzer:innen parallel den virtuellen Raum nutzen können. Um das zu ermöglichen, wird deutlich schnelleres Internet benötigt, als wir heute haben. Nicht einmal 5G Verbindungen reichen aus, um die Aktivitäten der Nutzer:innen zu synchronisieren.

Das Metaverse ist noch kein Massenphänomen

Laut dem Marktforschungsunternehmen Gartner sollen bis 2026 etwa ein Viertel aller Menschen täglich mindestens eine Stunde am Tag im Metaverse verbringen. Bis dahin ist der Weg aber noch weit.

Ende 2021 bewegten sich erst 50.000 Menschen weltweit in virtuellen 3D-Welten. Zum Vergleich: Facebook hatte zur selben Zeit fast drei Milliarden User. 

Trotz des großen Auftritts von Mark Zuckerberg bei der Vorstellung von Meta – noch fehlt dem Metaverse die Akzeptanz in der Gesellschaft. Mehr noch: Ein großer Teil der Bevölkerung weiß gar nicht, was das Metaverse ist. Eine Studie vom Januar 2022 stellte fest, dass 31 Prozent aller erwachsenen US-Amerikaner:innen noch nie etwas davon gehört hatten. Und, Hand aufs Herz: Wer kann – aus dem Kopf heraus und ohne auf die Definition von Matthew Ball oben im Text zu spicken – erklären, was das Metaverse ist?

Die Plattformen sind nicht interoperabel

Derzeit arbeiten zahlreiche Unternehmen an ihren eigenen Metaverse-Projekten:

  • Spieleentwickler wie Second Life, Roblox und Epic Games (Fortnite) sind schon länger dabei – und denken weit über Games hinaus. Stars wie Ariane Grande, Ed Sheeran und David Guetta geben in ihren virtuellen Räumen Konzerte. Louis Vuitton, Dolce & Gabbana und Puma veranstalten virtuelle Fashion Shows und verkaufen NFTs. 
  • Meta plant nicht weniger als ein Metaverse, das alle Lebensbereiche umfasst. Zwei Bereiche bietet Meta bereits an: Horizon Workrooms als Arbeitsplattform und Horizon Worlds als Multiplayerspiel. 
  • Auch Microsoft arbeitet an einer virtuellen Arbeitsplattform. Microsoft Mesh wird den Vorteil haben, dass es auch mit anderen Technologien als VR-Brillen erlebbar sein wird. Jedes Augmented-Reality-fähige Gerät und Mixed-Reality-Headset soll darauf zugreifen können. Außerdem arbeitet Microsoft schon länger daran, Nutzer:innen als Hologramme im virtuellen Raum auftreten zu lassen. 
  • NVIDIA wiederum fokussiert sich auf Plattformen, die 3D-Simulationen in Echtzeit ermöglichen und so neue Wege für Produktentwicklung und Forschung eröffnen. Und auch andere Unternehmen wie Google, Nike, Shopify oder sogar Tinder investieren in eine Zukunft im Metaverse.

Die Ansätze sind unglaublich vielfältig. Doch bislang fehlt ein entscheidender Faktor: Interoperabilität. Die virtuellen Welten existieren getrennt voneinander. User können zum Beispiel keine Objekte aus dem einen in das andere „Metaverse“ mitnehmen. Wer bei Roblox eine virtuelle Gucci-Tasche für 4.115 Dollar kauft – was übrigens teurer ist als die physische Version der Gucci-Tasche – kann damit nicht im Microsoft-Metaverse-Meeting vor den Kolleg:innen angeben. Für die Interoperabilität fehlt es zum einen an technischen Möglichkeiten, zum anderen aber auch am Willen der einzelnen Unternehmen.

User müssen auch abwägen, welche der „Metaverse“-Plattformen überleben wird. Stellen Sie sich vor, Sie investieren tausende Euros in die Ausstattung Ihres Avatars auf einer Plattform, die dann plötzlich verdrängt wird wie StudiVZ von Facebook (oder Facebook zur Zeit von TikTok).

Das Metaverse hat noch kein stabiles Bezahlsystem

Viele Metaverse Applikationen besitzen bereits Bezahlsysteme, die auf Krypto & NFT basieren. Das bietet einige Vorteile: Währungen und digitale Objekte, die auf Blockchains basieren, werden dezentral verwaltet und gelten als nicht fälschbar. Da Kryptowährungen bisher starken Schwankungen unterliegen und damit volatiler sind als Fiat-Währungen (wie Dollar oder Euro), wurden sogenannte Stablecoins geschaffen. Die sollen durch aktive und automatische Preisbindungsmechanismen möglichst konstant gehalten werden. 

Durch fehlerhafte Algorithmen kam es aber Anfang Mai zu einem gewaltigen Crash auf dem Kryptomarkt. Investor:innen fingen an, den Stablecoin TerraUSD zu verkaufen. Dieser verlor zwischenzeitlich 99,9 Prozent an Wert. Auch die Kurse von Krypto-Währungen stürzten ein. 

Der NFT-Markt ist ebenfalls großen Schwankungen unterworfen. Was kürzlich wieder an einem prominenten Beispiel sichtbar wurde: Im März 2021 wurde der weltweit erste Tweet, verfasst vom Twitter-Mitbegründer Jack Dorsey, für insgesamt 2,9 Millionen Dollar als NFT verkauft. Der Käufer hat sich nun entschieden, das NFT erneut zum Verkauf anzubieten. Er verkündete, die Hälfte des Gewinns zu spenden. Erwartet wurden bis zu 50 Millionen Dollar. Das höchste Gebot lag am Ende der Frist bei lediglich 277 Dollar.

Noch weisen die auf virtuellen Märkten eingesetzten Technologien also starke Schwachstellen auf, was zu großen Verlusten für Nutzer führen kann.
 

Wie geht es weiter mit dem Metaverse?

Trotz aller Schwachstellen: Das Potential des Metaverse ist gigantisch. Deloitte hat dazu drei Szenarien aufgestellt, in welche Richtung sich Metaverse-Applikationen entwickeln könnten:

  • Low Orbit: Das Metaverse brilliert in einigen Anwendungsbereichen wie Gaming, Unterhaltung und Online-Shopping, wird aber keine allgemein genutzte Plattform. 
  • Double Star: Es wird kein allumfassendes Metaverse geben, aber einige Hauptakteure, die in Konkurrenz zueinanderstehen. Nutzer:innen müssen sich für Anbieter entscheiden, Interoperabilität ist nicht gegeben.
  • Big Bang: Ein gesamtes interoperables Metaverse wird die dominante Plattform, auf der wir die meisten unserer täglichen Aktivitäten ausführen. Es wird einfachmöglich sein, zwischen physischer und digitaler Welt zu wechseln.

Wer sich jetzt einbringt und mit Metaverse-Anwendungen experimentiert, wird mitbestimmen, welches der drei Szenarien eintritt. 

Über den Autor

Ben Seegatz studierte als Jungstudent Klavier und später Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Sein Forschungsinteresse konzentrierte sich dabei auf Musik- und Medienwissenschaften, Urbanistik und Philosophie. Parallel zur Fortsetzung seiner akademischen Bildung war er als Regieassistent an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien tätig und arbeitet künstlerisch mit digitalen Medien und künstlicher Intelligenz. Seit Herbst 2019 arbeitet er Data Science Team bei der LOOPING Group am Standort Berlin.

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