Warum Städte

neu denken müssen

Artikel mit

Oberbürgermeister Markus Lewe

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Christof Stache/AFP via Getty Images
11.08.2022 5 MINUTEN

  • Je global vernetzter unsere Redaktionelle Gesellschaft wird, desto mehr müssen die Städte sich um etwas bemühen, das sie in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt haben: gute Kommunikation.

  • Denn hier entscheidet sich die Identität und Zukunft unserer Gesellschaft.

  • Ein Aufruf.

Was hält unsere Gesellschaft noch zusammen? Das mag man sich in den vergangenen Jahren angesichts von Flüchtlingskrise, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und des drohenden Klimawandels wohl mehr als einmal gefragt haben. Wir erleben Polarisierungen, die zum Teil sogar Familien entzweien und die den Respekt vor unseren demokratischen Institutionen langsam auszuhöhlen drohen.

Auf der Suche nach Lösungen starren die Menschen wie gebannt in Richtung Berlin oder Brüssel, während sie von Medien und digitalen Meinungsmachern mit jeweils unterschiedlichen Interpretationen der aktuellen Vorgänge dort versorgt werden. Keine Frage: Natürlich hat das, was in der EU oder in der Hauptstadt gerade diskutiert und entschieden wird, enorme Auswirkungen auf unsere ganze Republik. 

Doch ich glaube: Das, was uns als Gesellschaft wirklich ausmacht – wie wir miteinander umgehen, wie wir zusammenhalten, wie wir die Zukunft gestalten wollen – das beweist sich in Wahrheit ganz woanders. Nämlich in unseren Städten. Städte sind nicht nur der Ort, an dem sich Menschen und Meinungen täglich tausendfach begegnen – ob beim vom Plausch mit den Kollegen, beim Vereinsstammtisch, im Hochschulseminar oder bei der Demo. 

Städte tragen eine besondere Verantwortung

Städte sind auch Lebensort und Orte der Identitätsstiftung, vom „eigenen“ Sportverein bis hin vielleicht zur seit Generationen gepflegten Kleingartenkolonie. Zugleich sind Städte der Ort, an dem Bürgerinnen und Bürger am häufigsten das Wirken des Staates beobachten können – vom Knöllchen fürs Falschparken über die Anmeldung zur Schule für die eigenen Kinder bis hin zur Genehmigung zum Bau eines Eigenheims. Eben diese Bürgerinnen und Bürger erleben auf kommunaler Ebene das Wirken von Demokratie am unmittelbarsten. 

Aus dieser Rolle erwächst den Städten und ihren gewählten Vertretern meiner Überzeugung nach eine ganz besondere Verantwortung für die Zukunft unserer Gesellschaft – sei es bei Themen wie Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Demokratie und Frieden. Zu diesem Schluss ist auch gerade der „U7 Mayors Summit“ gekommen, ein virtueller Gipfel bestehend aus dem Deutschen Städtetag, dem Städtenetzwerk ICLEI und dem Global Parliament of Mayors. Die „Urban7 Mayors Declaration“ wurde vor kurzem verabschiedet und an die deutsche G7-Präsidentschaft übergeben.

Dieser gestalterischen Verantwortung wirklich gerecht werden können Städte meiner Überzeugung nach nur, wenn sie um etwas bemühen, das sie in der Vergangenheit manchmal vernachlässigt haben: gute Kommunikation. Das heißt, die Bereitschaft, sein Handeln der Bevölkerung verständlich und rechtzeitig zu erklären. Und das bedeutet darüber hinaus den Willen, mit allen Menschen der Stadtgesellschaft in einen Dialog zu gehen. 

Diesen Herausforderungen müssen Städte sich stellen

Das klingt so einfach und vielleicht auch selbstverständlich: gut kommunizieren. Doch wer sich einmal mit dem komplexen Gebilde einer städtischen Verwaltung befasst hat, weiß, wie groß diese Herausforderung ist. Denn anders als ein Unternehmen kann sich eine Stadt in der Kommunikation nicht auf einzelne Produkte und deren Zielgruppen beschränken. Wären Städte Unternehmen, hätten sie weit mehr als 1.000 Produkte im Portfolio und müssten Dutzende von Zielgruppen erreichen. 

Nehmen wir nun noch diejenigen Herausforderungen mit in die Rechnung auf, die in Zukunft auf uns zukommen werden: Der gemeinsame Kampf gegen den Klimawandel beispielsweise, der sich ganz direkt auf die Menschen in einer Stadt auswirken wird, sei es bei Regelungen für Haussanierungen, bei der Müllvermeidung, beim Straßenbau oder bei der Weiterentwicklung des öffentlichen Nahverkehrs. Das alles wird von den Menschen Kompromisse abverlangen. Und Kompromisse entstehen nur durch Dialog. Also durch, genau, gute Kommunikation.

Wie können wir Menschen in ihren medialen Blasen erreichen?

Die Größe dieser Herausforderung ändert nichts an der Notwendigkeit der Aufgabe. Diese Aufgabe ist komplexer als noch vor etwa zwanzig Jahren, denn inzwischen leben wir in einer Redaktionellen Gesellschaft. Die Menschen, die wir heute erreichen wollen und denen wir unser Handeln verständlich machen möchten – diese Menschen sind nicht mehr so einfach zu erreichen. Sie bewegen sich oft in ihren eigenen medialen Blasen, außerhalb einst dominanter Informationswege. 

Kommunikatoren von Städten – Pressesprecher, aber auch Amtsleiter und gewählte Vertreter – kommen daher nicht umhin, sich von jahrzehntelangen Denkmustern zu lösen.  Pressemitteilung, Pressekonferenz, Anzeige im Amtsblatt, Eintrag auf der städtischen Website, all diese klassischen Kommunikationsmittel bleiben weiterhin wichtig, stellen sie doch einen Kommunikationskanal unter anderem zu den „klassischen“ Medien dar, auf deren einordnende und oft auch kritische Berichterstattung Politik und Öffentlichkeit angewiesen bleiben.

Doch das darf nicht die Grenze unseres Anspruchs sein. Wer den Menschen das Handeln von Politik und Verwaltung auf kommunaler Ebene vermitteln will, muss sich fragen: Wird damit tatsächlich das Maximum an möglichen Adressaten erreicht? Oder vielleicht doch nur eine bestimmte Klientel? 

Was ist denn mit den Menschen, mit denen man selbst als Amtsleiter, als Dezernentin oder auch als Oberbürgermeister eher nicht täglich in Kontakt kommt? Was ist mit dem 16-jährigen Fridays-for-Future-Teilnehmer, der geflüchteten Mutter aus Syrien, der Auszubildenden aus dem sozialen Brennpunktviertel? Kommunizieren wir für diese Menschen auf den richtigen Kanälen, haben wir die richtige Ansprache gewählt? 

„All we need to do is make sure we keep talking.“

Alle Teilnehmer des städtischen Lebens haben einen Anspruch darauf, gut über die Entscheidungen der Exekutive informiert zu werden, unabhängig von Herkunft, Milieu und Mediennutzungsverhalten. Wenn wir als Exekutive diese Kommunikation ernst meinen, heißt das zugleich: Wir müssen auch Möglichkeiten zum Dialog schaffen und genau hinhören, was die Menschen bewegt und was sie von einzelnen Maßnahmen staatlicher Stellen halten. Denn gute Kommunikation ist immer auch ein Austausch und ein Aufeinander-Reagieren.  

Dass ein solcher Austausch Früchte trägt, zeigen mir zum Beispiel die Dialogtage zum Thema „Innenstadt der Zukunft“, die im Frühjahr dieses Jahres in Münster stattgefunden haben. Über 1.700 Ideen und Anregungen wurden in diesem Rahmen von Bürgerinnen und Bürgern eingereicht. Erste Vorhaben werden direkt angegangen, viele Hinweise fließen auch in andere Zukunftskonzepte der Stadt ein. 

Mit dieser Art von Austausch können Städte einen enormen Beitrag für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft schaffen. So planen wir zum Beispiel für das kommende Jahr eine große stadtweite Klimakonferenz – eine von vielen weiteren Gelegenheiten für die Bürgerschaft, mit der Verwaltung in den Dialog zu treten und unsere Zukunft mitzugestalten.

Städte bewegen sich bei ihrer Kommunikation zu Recht in engen gesetzlichen Bahnen. Finanziert durch Steuergelder darf es ihnen – auch in der redaktionellen Gesellschaft – nicht darum gehen, selbst zum Medium oder gar zu einem „besseren“ Medium werden zu wollen. Davon unbenommen bleibt ihre Pflicht, ihre Bürgerinnen und Bürger – und zwar möglichst  alle – über ihr Handeln verständlich und rechtzeitig zu informieren und idealerweise in einen Austausch zu kommen. Wenn uns dieses Miteinander-Reden gelingt, wird unsere Gesellschaft auch in Zukunft zusammenhalten und auch weitere Krisen gemeinsam durchstehen. Oder, um es mit einem Zitat der englischen Band Pink Floyd zu sagen: All we need to do is make sure we keep talking. 

Zur Person

Markus Lewe (Jahrgang 1965) ist seit dem 21. Oktober 2009 Oberbürgermeister der Stadt Münster. Am 27. September 2020 wurde der studierte Verwaltungswirt und CDU-Politiker zum dritten Mal in dieses Amt gewählt. Seit November 2021 ist er zudem Präsident des Deutschen Städtetags. Dieses Amt hatte er bereits von Januar 2018 bis Juni 2019 inne, zwischen seinen Amtszeiten war er Vizepräsident des Deutschen Städtetages. Markus Lewe ist verheiratet und hat fünf Kinder.

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