Zwischen Metaverse und Second Hand: Wohin bewegt sich der Luxusmarkt?

Die Branche verändert sich – aber anders, als von vielen erwartet

Text von

Bettina Billerbeck, Chief Business Officer und Geschäftsführerin der Beautiful Minds Media GmbH (MADAME & MONSIEUR) LINKEDIN

Foto von

Nikolay Vinokurov
23.06.2022 5 MINUTEN

In a nutshell:

  • Die Luxuswelt ist so ambivalent wie fast alles in diesen Zeiten: Einerseits ensteht eine Bewegung hin zu „Considerate Luxury“ – und andererseits boomt der Logo-liebende Luxus-Streetstyle.

  • Die internationale Luxusbranche zeigt sich resilient nach den Corona-Lockdowns und während des Kriegs in der Ukraine.

  • Als Vehikel in die Zukunft dienen den Luxusmarken Circular Fashion, Collaborations bis ins Metaverse hinein und neue Materialen aus nachwachsenden Rohstoffen.

Am ersten sonnig-warmen und maskenfreien Juni-Samstag auf dem Neuen Wall in Hamburg hatte man den Eindruck, Corona sei vorüber und auch sonst alles wie früher und die Welt aperolspritzig in Ordnung. Vorm Louis Vuitton Store standen 17 Personen in der Warteschlange, vor Hermès fünf, vor Prada vier und vor Gucci sechs junge Männer – und letztere sahen eher nach Nightlife als nach Schifffahrtsbranche aus, sie trugen bereits Doppel-G-Gürtel. Im ehrwürdigen Alsterhaus hingen statt „anständiger“ Konfektion flamboyante Logo-Jogginghosen von Balenciaga, und im Erdgeschoss flimmerte der farbgewaltige Pop-up-Shop der brandneuen Gucci-Adidas-Collaboration.

Das alles kam mir an jenem Samstag überhaupt nicht entgegen: Ich hatte schreiben wollen, dass sich die Luxusbranche post-Covid (wenn man den Begriff wagen darf) in Richtung Nachdenklichkeit und Zurückhaltung wertewandelt. Turns out: Es ist doch etwas komplizierter.

Die großen Treiber des Marktes

Die gute Nachricht ist: Der Luxusbranche geht es bestens. Der Bounce-Back-Effekt, auf den nach dem Lockdown-Jahr 2020 alle gehofft hatten, ist 2021 tatsächlich eingetreten. Kering (Monsieur Pinaults Gucci-Saint-Laurent-Bottega-Veneta-Reich) meldete ein Umsatzplus von 35 Prozent, Hermès von 43 Prozent. Treiber waren und sind Asien, die USA – und die Generationen X und Y.

Nicht mal die Sanktionen gegen Russland und seine Oligarchen konnten die Geschäfte dämpfen: Einer Studie der UBS zufolge ist Russland mit einem Anteil von 1-2% am globalen Umsatz erstaunlicherweise ein Luxuskonsum-Winzling im Vergleich zu China und den USA.

Wie sich die anhaltenden Lockdowns in China auf die Luxusbranche auswirken, bleibt abzuwarten, für das schwierige zweite Quartal 2022 gibt es noch keine Zahlen. Fest steht: Die Luxusmarken in Shanghai haben sich einiges einfallen lassen, um ihre VICs (die very important customers) emotional bei der Stange zu halten – von Lebensmittel-Lieferungen bis zum fertigen Sternemenü to go. Und die Unternehmensberatungen gehen von einem hochresilienten Luxusmarkt aus – einem asiatischen Mega-Bounce-Back, sobald die Menschen wieder aus dem Haus dürfen.

Gen X und Boomer entschleunigen die Luxus-Branche

In Europa haben viele Big Spender in den letzten zweieinhalb Jahren festgestellt, dass sie eigentlich gar nicht so viele Dinge brauchen, diese Dinge aber einen hohen handwerklichen und emotionalen Wert haben sollten. Corona hat eine Ausprägung von Luxus verstärkt, die man als Considerate Luxury bezeichnen könnte. „High Net Worth Individuals“ der Generationen X und Boomer kaufen jetzt noch bewusster als zuvor hochwertig, zeitlos schön und handwerklich exzellent. Ihre 1.200-Euro-Cashmere-Cardigans tragen Considerate- Luxury-Anhänger dann eben acht bis zehn Jahre, und die Patek Philippe vermachen sie eines Tages der Tochter, die ohnehin lieber Herrenuhren trägt.

Luxus hat für diese Generationen etwas „Manufaktum“-haftes und mit Beständigkeit und Wertschätzung zu tun, manchmal sogar mit Verehrung (siehe: zärtlicher Umgang eines Ü40ers mit seinem 911er). Ohnehin wird in dieser Bubble schon mehr über Hochbeete gefachsimpelt als über Handtaschen.

Considerate Luxury bedeutet auch ein Zurück zur Reparaturkultur und ein Hin zu Circular Fashion. Was stellenweise kaputtgeliebt ist, wird geflickt statt weggeworfen. Was man nicht mehr braucht, wird weitergegeben – vielleicht sogar verkauft und über „High End Second Hand“ zurück in den Kreislauf geschickt. Der Verkaufserlös ist meist gar nicht der Antrieb, sondern das gute Gewissen, sich zeitgemäß zu verhalten.

Second Hand macht bereits 10 Prozent der Umsätze aus

Meist dauert es nicht lange, bis eine Second-Hand-VER-Käuferin selbst zur -Käuferin wird. Dann ist auch die Ersparnis gegenüber Neuware weniger entscheidend als die Tatsache, dass bestimmte Rolex-Modelle oder Hermès-Taschen auf dem „First Market“ schlicht nicht erhältlich sind. Es lassen sich treasures, seltene Einzelstücke, ergattern und der persönliche Stil individualisieren – und in Kombination mit der sichtlich gelebten Nachhaltigkeit wird daraus der ideale Social Media Post: Considerate Luxury wird zur persönlichen Botschaft in der Redaktionellen Gesellschaft.

Second Hand ist einer der am stärksten wachsenden Bereiche der Luxusbranche und macht bereits 10 Prozent der Umsätze aus. Die Hersteller selbst haben gar nichts dagegen. Die ersten haben begonnen, „pre-loved items“ (so kann man’s auch nennen) in ihren Flagship Stores zu verkaufen, das Pariser Prêt-a-porter Label Isabel Marant zum Beispiel. Und Luxury Second Hand lockt Investoren, sogar die entsprechenden Abteilungen der Luxuskonzerne selbst, die an einer möglichst langen Einsatzzeit ihrer Waren mehr Interesse haben, als man meinen könnte. Kering investierte gerade gemeinsam mit Softbank und Al Gore in die internationale Circular Fashion Platform Vestiare Collective, die im Jahr 400 Millionen Euro Umsatz macht.

Teleshopping trifft Instagram

Second Hand ist für viele Hersteller eine gute Gelegenheit, ihre Marke mit den Kund:innen von morgen in Kontakt zu bringen und mit der Begehrlichkeit aufzuladen, die am Ende wieder zu den Warteschlangen vor den Flagship Stores führt. In Großbritannien gelingt das zum Beispiel über den Live Shopping Kanal „Luxury Promise“. In 60-minütigen Verkaufsshows auf der eigenen Website präsentieren sehr junge und hochprofessionelle Moderatorinnen im typischen Influencer-Look Handtaschen von Louis Vuitton und anderen Kult-Labels. Die Zuschauer:innnen stellen zeitgleich im Chat Fragen („zeigt mal, wie der Boden der Tasche aussieht – sind die Kanten schon angeschlagen?“), die unmittelbar beantwortet werden. Hier verschmelzen das gute alte Teleshopping, Instagram Live und unterhaltsame Berieselung zu einem Marken-Erlebnis, an dem man als Sender und Empfänger teilnimmt.

Die Generation Z (also die Zehn- bis 25-Jährigen) zu erreichen – das gelingt am Ende doch wieder über das Label und das große Logo. Denn die Zielgruppe gilt als geradezu luxuswütig und stellt teure Marken liebend gern zur Schau. Brand Collaborations beweisen sich gerade als Marketing-Vehikel in die junge Zielgruppe. Luxury Brands und Sportswear/Streetwear Labels geben sich die Hand: Adidas und Balenciaga, Gucci und The North Face, Omega und Swatch mit ihrer Moonswatch für 250 Euro, die für 1.400 Euro weiterverkauft wird, was sogar Geld in die Kassen von gerade mal geschäftsfähigen Schülern spült.

Willkommen in der Metaverse-Boutique

In der Gaming- und Metaverse-Welt sind Luxusmarken aus gutem Grund präsent. Es gibt Balenciaga Skins bei Fortnite und einen Gucci Garden im Metaverse, in dem Handtaschen, die nie die Sonne sehen werden, für den Echte-Welt-Preis über den virtuellen Tresen gehen.

Schließt sich irgendwo der Kreis wieder zu Considerate Luxury, fließen zwei Bewegungen am Ende wieder zusammen? Zukunftsforschern zufolge geschieht das spätestens in der Generation Alpha, unter den Kindern der Millennials. Sie fordern nicht nur Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung von Unternehmen, sondern machen sie zur Grundvoraussetzung für jeden Kauf machen werden. Deshalb testen Luxury Brands bereits alternative Materialien für ihre Produkte wie Pinatex, ein Textil aus Ananasblättern, und Mylo Leather, eine Leder-Alternative aus Pilzen. Die Prototypen von heute sind womöglich die Produkte, für die man in Zukunft Schlange steht. In der Metaverse-Boutique.

Über die Autorin

Bettina Billerbeck arbeitete nach ihrem Magister in Geschichte und VWL über 25 Jahre als Journalistin bei diversen Lifestyle-Medien – von Kulinarik über Fashion bis zu Interior Design. Heute baut sie gemeinsam mit Chefredakteurin Petra Winter die Marke MADAME, die zur LOOPING GROUP gehört, über das klassische Zeitschriftengeschäft hinaus aus. Unter anderem um Kommunikationslösungen für Lifestyle- und Luxusunternehmen unter der Marke MAISON LUXE LOOPING LUXURY SOLUTIONS.

Ping logo black.

Our newsletter P!NG collects insights from thought leaders. For thought leaders.