„Marketing hat seine Stimme am Vorstandstisch verloren“

Ein Gespräch mit Tino Krause, Regional Director Central Europe bei Meta

Interview von

Dominik Wichmann, co-Founder der LOOPING GROUP LINKEDIN

27.11.2024 5 MINUTEN

  • Tino Krause ist Regional Director Central Europe bei Meta (früher Facebook) und Country Direktor für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Aufgrund seiner Erfahrung in führenden Mediagenturen und Unternehmen gilt er als einer der wichtigsten Experten und Vertreter der deutschen und europäischen Marketingbranche.

  • Für P!NG haben wir mit Tino Krause über den Wahlausgang in den USA gesprochen, Regulierungsbestrebungen in der Europäischen Union, über Künstliche Intelligenz und wie sich die Herausforderungen für das Marketing aufgrund dieser neuen Technologie in den kommenden Jahren verändern werden. „Alles zu können, war früher für Marketing-Agenturen attraktiv“, sagt Tino Krause. „Heute fordert der Markt eine viel spitzere Positionierung.“

Herr Krause, Elon Musk und X (ehemals Twitter) hatten erheblichen Einfluss auf den vergangenen US-Wahlkampf und werden vermutlich in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen. Welche Auswirkungen wird das wiederum auf Meta haben, insbesondere in den Märkten der Europäischen Union? 


Meta ist ein Unternehmen, das weltweit eine riesige Reichweite hat – mehr als drei Milliarden Menschen nutzen täglich eine unserer Plattformen. Das bedeutet, wir sind für Menschen aller Couleur, überall auf der Welt und mit Meinungen aus verschiedenen politischen Lagern von zentraler Bedeutung. Unabhängig davon, wer in den USA Präsident ist, glaube ich nicht, dass sich für uns viel ändern wird, auch wirtschaftlich nicht. Unsere Relevanz bleibt bestehen.


Die Realität ihrer Wettbewerber sieht anders aus: Google droht eine Zerschlagung und der gestiegene Einfluss von Elon Musk dürfte eher X nutzen als Meta. Was also sind in Zukunft die größten Herausforderungen für Sie?


Die größte Herausforderung für uns als Unternehmen sehe ich derzeit in Europa. Ich sage das als Deutscher und Europäer, der bei einem amerikanischen Unternehmen angestellt ist. Europa hat sich inzwischen leider als eine Art „Silicon Valley der Regulierung“ etabliert, was einerseits richtig und notwendig ist, aber andererseits auch problematisch werden kann, wenn Regulierung innovationshemmend wirkt. Die europäische Politik muss dringend sicherstellen, dass Regulierungen stets auch technologie- und innovationsfreundlich sind. Und dass sie sich nicht unnötig an veralteten Modellen orientieren. 

 

Welche Themen sind Ihrer Ansicht nach dabei besonders wichtig?


Natürlich zu allererst Künstliche Intelligenz. An ihr geht künftig kein Weg mehr vorbei. Wenn führende KI-Modelle in Europa nicht zugänglich sind – weder für Unternehmen noch für Agenturen – dann ist das sehr problematisch. In Bereichen wie Cloud Computing oder Web 2.0 hat Europa in der Vergangenheit nie wirklich eine führende Rolle eingenommen, obwohl wir hierzulande ausgezeichnete Forschungsbedingungen haben. In Deutschland etwa haben wir allein in München mit der UnternehmerTUM und der TU München mindestens zwei hervorragende Institutionen. Wir haben viele tolle Akteure hier, so viel Weltklasse in der Forschung. Europa verfügt auch über mehr Open-Source-Entwickler als die USA. Und trotzdem findet die Wertschöpfung oft woanders statt. Das betrifft nicht nur die Technologie, sondern auch die Frage, wie Arbeitsplätze in Europa gesichert werden können. Das beschäftigt mich stark, weil ich nicht möchte, dass Europa bei diesen wichtigen Themen abgehängt wird.


Wie wird der zunehmende Wettbewerbsdruck und eine mögliche Verschärfung der Regulierung die zukünftige Entwicklung beeinflussen?


Der stärkere globale Wettbewerbsdruck könnte auch dazu führen, dass europäische Regulierungen in der Zukunft anders und klüger konstruiert werden, vor allem aus der Sorge heraus, andernfalls den Anschluss an konkurrierende Regionen in Nordamerika und Asien zu verlieren. 

Mit ihren mehr als 15 Jahren Erfahrung in führenden Mediagenturen und Unternehmen gelten sie als einer der relevanten Experten der Marketing- und Kommunikationsbranche. Wie sehen sie die Zukunft ihrer Branche? Welche Veränderungen wird es geben, welche Themen werden die Zukunft bestimmen? 

Automatisierung und KI sind natürlich die beiden dominierenden Themen. Während die erste Welle der KI vor allem auf Effizienzsteigerung ausgerichtet war, geht die zweite Welle jetzt mehr in Richtung Wachstums-Optimierung. Wie also kann ich KI einsetzen, um ein Markenerlebnis signifikant zu verbessern? Es geht dabei nicht mehr nur um Kostensenkung, sondern um die Nutzung neuer Technologien, um die Komplexität des Marktes zu meistern – und das eben ohne damit einhergehende enorme Kostensteigerungen.


Mal etwas zugespitzt gefragt: Haben Marketing und Kommunikation ihren Einfluss und ihre besten Tage womöglich längst hinter sich? 


Absolut berechtigte Frage. Meine These ist: Das Marketing hat in den vergangenen fünf, sechs Jahren seine Stimme am Vorstandstisch verloren. Wir haben lange nur noch mit dem Procurement gesprochen, da Marketing ausschließlich als ein Kostenfaktor betrachtet wurde. Einkauf und IT haben sich eine Rolle im Marketing angemaßt, die wenig bis nichts mit Marketing-Experise zu tun hat. Jetzt aber ändern sich die Prioritäten wieder. Marketer beschäftigen sich zunehmend mit dem Thema Measurement und der Frage, wie sie nachweisen können, dass ihr Wirken einen echten Wert schafft. Moderne Marketing-Methoden wie Marketing-Mix-Modellierungen bieten die Möglichkeit, einem CFO oder CEO eines Unternehmens zu zeigen, dass Marketing eben kein reiner Kostenblock ist, sondern langfristig eine wertsteigernde Funktion für ein Unternehmen einnimmt.

Angesichts dieser Veränderungen: Welche Fähigkeiten sind heute ihrer Meinung nach für den Erfolg einer Marketing-Agentur entscheidend?


Die Zeiten, in denen es attraktiv und notwendig war, alles abzudecken und alles zu können sind ein für alle Mal vorbei. Heute ist es wichtig, dass Agenturen eine spitze und unterscheidbare Positionierung haben. Dafür müssen sie einen spezifischen Bereich definieren, in dem sie wirklich herausragend sind und das auch mit erfolgreichen Beispielen belegen können. Zudem geht es nicht darum, sich nur auf einen Bereich zu beschränken, sondern darum, durch Partnerschaften flexibel zu bleiben und das beste Angebot für den Kunden zu schaffen. Netzwerkarbeit wird deshalb immer wichtiger. Eine Agentur, die sich nur auf sich selbst stützt, wird es schwer haben. Offenheit und die Bereitschaft zu Kooperationen sind in Zukunft entscheidend für den Erfolg einer jedweden Agentur. 

Zur Person

Tino Krause ist Regional Director Central Europe bei Meta (früher Facebook) und in dieser Position verantwortlich für insgesamt 34 Länder. Zusätzlich ist er seit 2019 Country Direktor für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Krause gilt mit mehr als 15 Jahren Erfahrung in führenden Mediagenturen und Unternehmen als einer der renommiertesten Experten und Vertreter der Marketingbranche. Er war CEO bei MediaCom, einer der größten Mediaagenturen Deutschlands, sowie bei der Mediaagentur MEC, heute Wavemaker. Darüber hinaus arbeitete Tino Krause in verschiedenen Managementpositionen, darunter bei Telefónica und bei Audi. 

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