Fordern, mahnen, klagen – oder aus Bescheidenheit schweigen 

Warum der Mittelstand besser kommunizieren muss und wie das gelingen kann.

Text von

Thomas Schmelzer, Senior Editor LOOPING ONE LINKEDIN

Artwork von

Ha My Le Thi, Junior Creative LOOPING ONE LINKEDIN
23.05.24 5 MINUTEN

  • In der Redaktionellen Gesellschaft benötigt der Mittelstand mit seinen Familienunternehmen eine neue Kommunikationsstrategie.

  • Wenn sich Firmen trauen, ihre Erfolge wie Probleme authentisch und zeitgemäß zu erzählen, profitieren sie langfristig auf mehreren Ebenen davon.

  • Drei kommunikative Manöver, wie das gelingen kann.

Wer in den letzten Monaten die Nachrichten über den deutschen Mittelstand und seine Familienunternehmen verfolgt hat, konnte leicht ins Zittern geraten:  

„Nachfolgelücke in mittelständischen Firmen wächst“ (SWR

„Mittelstand sorgt sich um Wettbewerbsfähigkeit“ (Handelsblatt

„Der Wirtschaftsminister hilft dem Mittelstand nicht“ (Rheinische Post

Dazu mischten sich die Viessmann-News über den Verkauf zukunftsträchtiger Geschäftsbereiche aus Familienhand an die US-Konkurrenz, Ankündigungen zur Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland wie bei Continental, Bosch und ZF Friedrichshafen sowie schrille Forderungskataloge an die Politik auf allen Kanälen. Die Stimmung sei am Tiefpunkt, so der Tenor in unserer Redaktionellen Gesellschaft.  

Kein Wunder also, dass die deutschen Familienunternehmen laut aktuellen Studien ein Imageproblem haben. Nur jeder fünfte Bundesbürger glaubt laut Klenk & Hoursch Image-Barometer 2024, dass mittelständische Unternehmen gut gegen aktuelle Herausforderungen wie die Inflation gerüstet sind. Den sinnvollen Einsatz neuer Technologien traut ihnen nur jeder Dritte zu. Nach einer PwC-Studie halten lediglich 5 Prozent der Deutschen Familienunternehmen für international wettbewerbsfähig, bloß 12 Prozent bescheinigen ihnen Krisenfestigkeit. 

90 Prozent aller Firmen sind Familienunternehmen  

Bemerkenswert sind die schlechten Werte deswegen, weil sie im Kontrast zur realen Kraft und Bedeutung der Unternehmen stehen. Familienkontrollierte Unternehmen machen noch immer 90 Prozent aller Firmen in Deutschland aus. Sie erwirtschaften 55 Prozent des Umsatzes, sie stellen 57 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Jobs. Außerdem bilden sie die meisten Lehrlinge aus und kommen erwiesenermaßen besser durch Krisen.  

Wenn der Mittelstand wahlweise als „Rückgrat“, „Anker“ oder „Fundament“ der deutschen Wirtschaft tituliert wird, mögen das abgedroschene Floskeln sein – korrekt in der Beschreibung bleiben sie.  

Umso mehr offenbart die Kluft zwischen realer Leistungskraft und öffentlicher Wahrnehmung die kommunikative Sackgasse, in die sich der Mittelstand hineinmanövriert hat. Allzu lange galt in vielen Familienunternehmen das Credo, über Erfolge lieber nicht allzu laut zu sprechen – und über Probleme oder Rückschläge schon gar nicht. Sich im Zweifel lieber bedeckt halten, lautete jahrelange die Devise. Die entstehende kommunikative Leerstelle befüllen seit je her Verbände und Interessenvertreter, deren Aufgabe per Definition darin besteht, zu klagen und zu fordern.  

Aus Sicht der Verbände ist das nachvollziehbar, richtig und legitim. Ohne kommunikative Gegenseite aber führt es zu jener verzerrten Wahrnehmung, die sich zunächst in Umfragen spiegelt und langfristig zu Nachteilen beim Recruiting und im Vertrieb führt, sich also im echten Geschäft niederschlägt. Überspitzt gesagt: Mit Meckern und Fordern hat noch niemand Begeisterungsstürme entfacht – weder bei Fachkräften oder in der eigenen Belegschaft noch bei potenziellen Kund:innen.  

Die NextGen ist mutiger 

Genau das haben inzwischen Teile des Mittelstands erkannt. Vor allem die NextGen der Familienunternehmen, also der Nachwuchs, der das Geschäft gerade übernimmt oder bald übernehmen soll, treibt den kommunikativen und kulturellen Wandel voran. Die Töchter und Söhne der vorangegangenen Generation denken, sprechen und agieren mutiger, digitaler, zeitgemäßer. Über Probleme reden sie auf Plattformen wie LinkedIn oder in Podcasts so transparent wie über erfolgreiche Innovationsprojekte. Viele fassen den Mut und erzählen auch öffentlich von persönlichen Rückschlägen als Unternehmer:in – und davon, wie sie gestärkt aus ihnen hervorgegangen sind.  

 

Alle zwei Wochen laden der Wirtschaftsjournalist Hans-Jürgen Jakobs und der Experte für Familienunternehmen, Christian Mohr, Familienunternehmer:innen in ihren Podcast ein. Gemeinsam sprechen sie mit ihrem Gast über jene Momente, in denen alles auch ganz anders hätte laufen können. Offen reden sie über Zweifel, Abwägungen, Fehlentscheidungen, darüber, wie sie Herausforderungen gemeistert haben. Und sie blicken nach vorn und gehen der Frage nach, wie Unternehmer:innen und wie wir alle in der heutigen Zeit glaubwürdig kreative Lösungen finden und Optimismus entfesseln können. Schlaflose Nächte ist ein Podcast der UnternehmerTUM in Zusammenarbeit mit LOOPING ONE. 

Fazit

 

Der Mittelstand muss mehr erzählen, inspirieren, antreiben und weniger fordern, mahnen, klagen. Nur so kann er als Marke und Institution in der Redaktionellen Gesellschaft die Strahlkraft erlangen, die er verdient. Und noch wichtiger: Nur so kann er langfristig Talente binden, Kund:innen gewinnen und im globalen Wettbewerb bestehen.  

Dabei sind es vor allem drei kommunikative Manöver, die es anzuwenden gilt: 

1. Haltung, Haltung, Haltung:

Die Welt ist so komplex wie nie, von allen Seiten prasseln Herausforderungen auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ein. Umso wichtiger wird der eigene Wertekompass – sowohl für die innere Orientierung als auch für die Kommunikation nach außen. Dass diese Erkenntnis keine Frage des Alters ist, zeigte zuletzt Reinhold Würth, als er in einem Schreiben an die Belegschaft seines Familienunternehmens vor der AfD warnte. Tagelang beherrschte er als Beispiel für unternehmerische Zivilcourage den Diskurs. 

2. Von Erfolgen erzählen – und offen über Probleme reden:

Menschen lieben Geschichten. Und sie lieben es, wenn Menschen sie erzählen. Das gilt für Eventbühnen genauso wie für Podcastformate wie Schlaflose Nächte oder Interviews. Dabei gilt: je authentischer, desto besser. Wer glaubwürdig von Rückschlägen erzählt, dem nimmt man auch die erfolgreiche Innovationsstory ab. Beides zusammen bindet Menschen, sowohl Mitarbeiter:innen als auch Kund:innen. 

3. Kooperation statt Konfrontation:

Der Graben zwischen Wirtschaft und Politik ist oft groß. Trotzdem bringt Konfrontation selten Erfolg. Dass Kooperieren das bessere Fordern ist, zeigen Ökosysteme wie UnternehmerTUM in München. Hier rücken alle Stakeholder eng zusammen, reden offen miteinander und nicht übereinander. Mit Erfolg, wie zuletzt ein Ranking der FT sowie Erfolgsgeschichten wie Flixmobility oder Celonis beweisen. 

Zur Person

Thomas Schmelzer ist seit 2021 bei der LOOPING GROUP und Senior Editor bei LOOPING ONE. Zu seinen Schwerpunkten zählen Formatentwicklung und Kommunikationsstrategien. Als Experte für Wirtschaftsthemen betreut er zudem den Podcast Schlaflose Nächte. Sein journalistisches Handwerkszeug lernte er u. a. bei der Süddeutschen Zeitung, brand eins sowie der Wirtschafswoche und dem Handelsblatt.

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