Stoppt Elon Musk!

Text von

Julia Jäkel, Aufsichtsrätin und Ex-CEO Gruner+Jahr
08.11.2022 5 MINUTEN

  • Twitter ist in die Hände eines Multimilliardärs geraten, der sich schwertut, wahr von falsch zu unterscheiden.

  • Es ist die Verantwortung von uns allen, das Schlimmste zu verhindern.

  • Ein Gastbeitrag von Julia Jäkel, Aufsichtsrätin und Ex-CEO Gruner+Jahr.

Es wäre zum Lachen, wenn es nicht zum Heulen wäre. Elon Musk bettelt Stars wie Stephen King an und feilscht wie auf dem Flohmarkt, ob King für acht statt 20 Dollar im Monat ein blaues Twitter-Häkchen kaufen würde: „Wir müssen doch irgendwie unsere Rechnungen bezahlen.“ 

Elon Musk trägt ein Waschbecken (auf englisch: „sink“) in das Twitter-Headquarter und twittert: „Entering Twitter HQ – let that sink in!“ 

Elon Musk ändert seine Twitter-Bio zu: „Twitter Complaint Hotline Operator“. Standort: „Hölle.“ 

Memes über den Grundschulhumor von Elon Musk gehen einem leicht von der Hand. Wäre dieser Pennäler nicht der reichste Mann der Welt und hätte er sich nicht gerade eine der wichtigsten Plattformen unserer demokratischen Öffentlichkeit gekauft.

Seit der Übernahme ist nun Chaos ausgebrochen, die Hälfte der Mitarbeiter sind entlassen, fast stündlich dreht sich die Nachrichtenlage. Es ist nahezu unmöglich, den aktuellen Stand zusammenzufassen, ohne kurz darauf schon wieder von der Realität überholt zu werden.

Bleiben wir also grundsätzlich. Die New York Times weist auf diese fundamentale Veränderung hin: Wollte ein Tech-Tycoon etwas Großes kaufen, so brauchte er bisher ein Unternehmen als Vehikel. Steve Case nutzte AOL, um Time Warner für 112 Milliarden Dollar zu erwerben. Jeff Bezos kaufte Whole Foods für Amazon. Mark Zuckerberg nutzte Facebook, um Instagram, WhatsApp und Oculus zu übernehmen und so weiter. Das waren Akquisitionen, die ein bisschen verrückt wirkten, aber zuerst dazu dienten, das Geschäft des erwerbenden Unternehmens zu mehren.

Die Übernahme von Twitter aber ist von ganz neuer Qualität: Eine Einzelperson kauft ein Spielzeug für sich selbst, das von 240 Millionen Menschen auf der ganzen Welt täglich genutzt wird, darunter sind quasi sämtliche politische und gesellschaftliche Entscheidungsträger. Das ist dieser Person 44 Milliarden US-Dollar wert, es ist auf Anhieb in der Top-10-Liste der größten Techdeals seit 1995. Selbst für Musk keine Kleinigkeit.

Auch wenn andere Investoren bei der Finanzierung helfen, wird Musk die absolute Kontrolle über das Schicksal der Kurznachrichtenplattform ausüben. Den Verwaltungsrat hat er nach wenigen Tagen abgeschafft. Das Medium liegt in den Händen eines Alleinherrschers, der sich für nichts und gegenüber niemandem rechtfertigen muss. Selbst Rupert Murdoch muss Gremien und Mitgesellschafter beachten.

Unmittelbar nach der Übernahme verbreitet der Chef-Twitterer selbst Fehlinformationen

Wer noch nicht wusste, in welche Hände eine globale Informationsinfrastruktur gelangt ist, der lernte schnell dazu. Wenige Tage nach dem Kauf von Twitter wird dem Ehemann von Nancy Pelosi zuhause von einem Verschwörungstheoretiker der Schädel zertrümmert. Der neue Chef-Twitterer Musk leitet daraufhin einen Link zu einer Verrückten-Website an die Twitter-Welt weiter, die ohne Beleg behauptet, Mr. Pelosi sei in Wahrheit betrunken und das Ganze ein Streit mit einem Callboy gewesen. Eigentlich zu übel, um es hier überhaupt aufzuschreiben. Dieselbe Website hatte 2016 behauptet, Hillary Clinton sei gestorben und in einer Debatte mit Trump durch ein Bodydouble ersetzt worden. 

Unmittelbar nach der Übernahme verbreitet der neue Eigner von Twitter also höchstselbst Desinformation. Der Tweet über Mr. Pelosi ist nicht das erste Mal, dass Elon Musk Links von Verschwörungstheoretikern teilt. 

Besonders peinlich für Musk war ein Vorfall 2018. Verärgert von negativen Berichten über ihn in der Presse spielte Musk damals mit dem Gedanken, eine neue Plattform einzurichten, die Medien nach ihrem „Bias“, ihrer vermeintlichen Voreingenommenheit, bewerten sollte. Er teilte einen Artikel der Plattform The Knife über die Berichterstattung der Medien zu ihm selbst. Elon Musks Urteil: „Diese Analyse ist exzellent.“ Dazu postete er einen Link zum Wikipedia-Eintrag über kritisches Denken. 

Kurz darauf wurde er von anderen Usern darauf hingewiesen, dass die Seite The Knife das Sprachrohr eines Sex-Kults ist, in dem Frauen wie Tiere wörtlich gebrandmarkt werden und dessen Sektenanführer mehrmals für den Missbrauch Minderjähriger angeklagt wurde. 

Ups. Musk löschte den Tweet kurz darauf. 

Wie können wir zulassen, dass ein Einzelner unsere kommunikative Infrastruktur bestimmen kann?

Ich bewundere die Kreativität und Schaffenskraft von Elon Musk. Das alte Familienhaus im Sauerland könnte ich ohne seine Satellitenverbindung Starlink kaum nutzen, denn wir wären hier digital abgeschnitten von der Welt. Die Schaffenskraft von Musk ist auch hier zunächst mal die Antwort auf unser jahrelanges deutsches Infrastrukturdesaster in der Provinz.

Aber wieso lassen wir als Gesellschaft es zu, dass ein Einzelner unsere kommunikative Infrastruktur bestimmen wird? Twitter hat gemessen an seiner Reichweite – 450 Millionen monatliche Besucher – nun mehr Meinungsmacht als jedes andere Medium, auch wenn ein Leitartikel in der NYT immer noch mehr bewegen kann als ein paar Kurztext-Kampagnen auf Twitter, auf beides wies Digital-Experte Christoph Keese kürzlich hin. 

Doch das Polarisierungs- und Hasspotential auf Twitter ist bekannterweise wesentlich größer als bei klassischen Medien. Keine Redaktion organisiert dort verantwortliche Absenderschaft, und die Kürze der Texte erlaubt keine elaborierte Kommunikation. Also wie kann es sein, dass wir bis jetzt keinen Gesetzesrahmen entwickelt haben, der so eine Entwicklung verhindern kann? Wie die emeritierte amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin der Harvard Business School und Plattformkritikerin Shoshana Zuboff einfach und treffend sagt: „Macht ohne Gesetze ist gefährlich.“ 

Das Beispiel Facebook zeigt, was Macht ohne Gesetze anrichten kann

Diejenigen, die uns nun beruhigen wollen, man müsse ihn nur an seinen Taten messen, nicht an seinen Worten – es wird schon alles werden! -, möchte ich an Mark Zuckerberg erinnern. Seit Jahren flehen wir ihn an, sich um seine Plattform zu kümmern. Gegen Desinformation vorzugehen, den Datenschutz ernstzunehmen und nicht weiter als Verstärker von ohnehin vorhandener Polarität zu wirken, mit anderen Worten, sich all den Problemen der Plattform ehrlich anzunehmen. Facebook beschäftige sich unterdessen damit, die Öffentlichkeit an der Nase herumzuführen. So werden wir alle abhängig davon, ob die Eigner dieser digitalen Infrastruktur ihrer Verantwortung und der gewaltigen, zugegeben komplizierten Führungsaufgabe gewachsen sind oder eben nicht. Schauen wir uns Facebook an, so stellen wir fest: Es ist in den letzten Jahren alles nur noch schlimmer geworden, im Free Press Research Report vom Oktober 2022 ist es gerade wieder nachzulesen.

Deshalb hinkt auch das Bild, das Musk verwendet, wenn er Twitter und seine Rolle beschreibt. Er sieht sich als Wächter über einen digitalen Dorfplatz, „a common digital town square“. Gemeinhin gehören die Dorfplätze (auch im Sauerland) der Gemeinschaft und nicht einem Multi-Milliardär, der sich niemals von uns hat wählen lassen müssen.

Was können wir tun?

„Was Twitter einzigartig machte, war, dass niemand es wirklich kontrollierte“, sagte Richard Greenfield, Medienanalyst bei LightShed Partners in der New York Times: „Und jetzt wird es einer Person in Gänze gehören.“ Der Zustand von Gesellschaft hängt also davon ab, wie einzelne wenige definieren, wie unsere globale Informationsinfrastruktur funktionieren soll. Kann gut gehen, kann schief gehen. Wem allein diese Unsicherheit nicht Angst macht, was dann? Wir werden gerade zum Zuschauer unserer eigenen Zukunft.

Was können wir tun? Fünf Jahre ist es her, dass ich einen neuen Standard für werbetreibende Unternehmen vorgeschlagen habe, eine „Corporate Media Responsibility“ – analog einer „Corporate Social Responsibility“, eine Art Selbstverpflichtung von Werbetreibenden, ihre Werbegelder bewusst auszugeben, auch im Hinblick auf die Frage, welche Arten von Inhalt sie damit mitfinanzieren. Geben sie das Geld also an Medien, die ihre Inhalte aufwendig erarbeiten und Beiträge zur öffentlichen Meinungsbildung liefern – oder stattdessen in Kanäle, die keine eigenen Inhalte erzeugen oder denen die Unterscheidung von wahr oder falsch völlig egal ist. 

Die öffentliche Reaktion war zweischneidig. Einige Unternehmen hatten verstanden oder applaudierten immerhin. Die meisten hielten mich damals für naiv („Mediaausgaben sind Investitionen, die sich in einem harten Wettbewerb rechnen müssen. Dabei noch etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun, das ist schon schwierig zu rechtfertigen“, so Florian Haller, Chef der Werbeagentur Serviceplan, damals im Handelsblatt). Die Frau, so fanden manche, halte das harte, zahlenbasierte Marketing-Business wohl für eine Art von Charity. Andere unterstellten mir, ausschließlich aus Eigeninteresse zu handeln – ich war ja Chefin eines großen Verlagshauses.

Heute wiederhole ich: Werbetreibende Unternehmen haben Macht. Sie beeinflussen mit jedem Werbe-Euro, welche Art von Mediainfrastruktur unsere Gesellschaft verbinden wird. Einen ersten Hallo-Effekt gab es 2020, als im Rahmen der #StopHateForProfit-Kampagne zahlreiche Unternehmen Facebook temporär, aber im großen Stil boykottierten.

Auch Elon Musk wird sein hochverschuldetes Unternehmen, dessen Geschäft – im letzten Jahr gute 5 Milliarden US Dollar Umsatz - bisher ausschließlich auf Werbeerlösen basiert (90%), nicht ohne diese Erlöse betreiben können. Da werden auch die acht Dollar für einen blauen Haken nur schwer helfen, es sei denn, mehr als 50 Millionen User wären bereit, diese Summe regelmäßig zu zahlen. Das ist schwer, denn nur 25 Prozent der Twitter User produzieren 97% aller Tweets, das Durchschnittseinkommen der User ist niedrig. Große Unternehmen treten nun auf die Werbebremse, bis sie verstehen, was Musk wirklich vorhat und wie er die Plattform führen wird. Das Auflösen des „Human Rights Team“ und Feuern zahlreicher Content Moderatoren kurz vor den amerikanischen Midterm-Wahlen lässt Schlimmes ahnen. Aber selbst der reichste Mann der Welt wird kein Unternehmen ohne Umsatz betreiben wollen.

Es macht Hoffnung, dass einige Unternehmen heute anders auf sich und ihre Rolle in der Welt schauen und sich ihrer Verantwortung auch beim Ausgeben ihrer Werbeetats bewusstwerden. Dass sie mit jedem Euro, den sie ausgeben, gesellschaftliche Entscheidungen treffen. Ja, Twitter war noch nie ein „Tier One“-Werbemedium, also ein Muss für solche Kunden, denen Marketing wichtig ist. Viele Unternehmen nutzen nun die Lage und verpacken ihre ohnehin geplanten Marketingeinsparungen öffentlichkeitswirksam.

Und doch: Der Werbeumsatz von Twitter ist in den letzten Tagen massiv eingebrochen. Ob Musk, dieser herausragende Erfinder von Autos und Raketen, darüber hinaus ein ökonomisch erfolgreicher Medienmogul mit abseitigen politischen Meinungen wird – darüber können viele mitentscheiden. Die Gesetzgeber, die Nutzer und Unternehmensverantwortliche. 

Und acht oder 20 Dollar für Elon Musks Schaltzentrale hin oder her, auch die, die bei Twitter ihre teils recht moralischen accounts unterhalten, müssen um diesen Preis und mehr wissen: Die Krise der demokratischen Öffentlichkeit und das eigene Verhalten gehören stets direkt zusammen.

Dieser Gastbeitrag erscheint zeitgleich in der Süddeutschen Zeitung und bei P!NG.

Am Donnerstag, den 17. November, erscheint bei P!NG eine Antwort auf Julia Jäkels Beitrag von Dominik Wichmann, Chief Creative Officer & Co-Founder LOOPING GROUP.

Zur Person

Julia Jäkel ist Managerin und Verlegerin, sie war von 2013 bis 2021 die Vorstandsvorsitzende des Verlagshauses Gruner & Jahr. Zur Zeit arbeitet sie in mehreren Aufsichtsräten, darunter der Holtzbrinck Publishing Group. Für ihr unternehmerisches und publizistisches Engagement wurde sie mehrfach ausgezeichnet, 2016 als „Medienmanagerin des Jahres“ (Kress), 2017 als „Medienfrau des Jahres“ (Horizont) und 2018 als „Media-Persönlichkeit des Jahres“ (W&V).

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