„Was Twitter einzigartig machte, war, dass niemand es wirklich kontrollierte“, sagte Richard Greenfield, Medienanalyst bei LightShed Partners in der New York Times: „Und jetzt wird es einer Person in Gänze gehören.“ Der Zustand von Gesellschaft hängt also davon ab, wie einzelne wenige definieren, wie unsere globale Informationsinfrastruktur funktionieren soll. Kann gut gehen, kann schief gehen. Wem allein diese Unsicherheit nicht Angst macht, was dann? Wir werden gerade zum Zuschauer unserer eigenen Zukunft.
Was können wir tun? Fünf Jahre ist es her, dass ich einen neuen Standard für werbetreibende Unternehmen vorgeschlagen habe, eine „Corporate Media Responsibility“ – analog einer „Corporate Social Responsibility“, eine Art Selbstverpflichtung von Werbetreibenden, ihre Werbegelder bewusst auszugeben, auch im Hinblick auf die Frage, welche Arten von Inhalt sie damit mitfinanzieren. Geben sie das Geld also an Medien, die ihre Inhalte aufwendig erarbeiten und Beiträge zur öffentlichen Meinungsbildung liefern – oder stattdessen in Kanäle, die keine eigenen Inhalte erzeugen oder denen die Unterscheidung von wahr oder falsch völlig egal ist.
Die öffentliche Reaktion war zweischneidig. Einige Unternehmen hatten verstanden oder applaudierten immerhin. Die meisten hielten mich damals für naiv („Mediaausgaben sind Investitionen, die sich in einem harten Wettbewerb rechnen müssen. Dabei noch etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun, das ist schon schwierig zu rechtfertigen“, so Florian Haller, Chef der Werbeagentur Serviceplan, damals im Handelsblatt). Die Frau, so fanden manche, halte das harte, zahlenbasierte Marketing-Business wohl für eine Art von Charity. Andere unterstellten mir, ausschließlich aus Eigeninteresse zu handeln – ich war ja Chefin eines großen Verlagshauses.
Heute wiederhole ich: Werbetreibende Unternehmen haben Macht. Sie beeinflussen mit jedem Werbe-Euro, welche Art von Mediainfrastruktur unsere Gesellschaft verbinden wird. Einen ersten Hallo-Effekt gab es 2020, als im Rahmen der #StopHateForProfit-Kampagne zahlreiche Unternehmen Facebook temporär, aber im großen Stil boykottierten.
Auch Elon Musk wird sein hochverschuldetes Unternehmen, dessen Geschäft – im letzten Jahr gute 5 Milliarden US Dollar Umsatz - bisher ausschließlich auf Werbeerlösen basiert (90%), nicht ohne diese Erlöse betreiben können. Da werden auch die acht Dollar für einen blauen Haken nur schwer helfen, es sei denn, mehr als 50 Millionen User wären bereit, diese Summe regelmäßig zu zahlen. Das ist schwer, denn nur 25 Prozent der Twitter User produzieren 97% aller Tweets, das Durchschnittseinkommen der User ist niedrig. Große Unternehmen treten nun auf die Werbebremse, bis sie verstehen, was Musk wirklich vorhat und wie er die Plattform führen wird. Das Auflösen des „Human Rights Team“ und Feuern zahlreicher Content Moderatoren kurz vor den amerikanischen Midterm-Wahlen lässt Schlimmes ahnen. Aber selbst der reichste Mann der Welt wird kein Unternehmen ohne Umsatz betreiben wollen.
Es macht Hoffnung, dass einige Unternehmen heute anders auf sich und ihre Rolle in der Welt schauen und sich ihrer Verantwortung auch beim Ausgeben ihrer Werbeetats bewusstwerden. Dass sie mit jedem Euro, den sie ausgeben, gesellschaftliche Entscheidungen treffen. Ja, Twitter war noch nie ein „Tier One“-Werbemedium, also ein Muss für solche Kunden, denen Marketing wichtig ist. Viele Unternehmen nutzen nun die Lage und verpacken ihre ohnehin geplanten Marketingeinsparungen öffentlichkeitswirksam.
Und doch: Der Werbeumsatz von Twitter ist in den letzten Tagen massiv eingebrochen. Ob Musk, dieser herausragende Erfinder von Autos und Raketen, darüber hinaus ein ökonomisch erfolgreicher Medienmogul mit abseitigen politischen Meinungen wird – darüber können viele mitentscheiden. Die Gesetzgeber, die Nutzer und Unternehmensverantwortliche.
Und acht oder 20 Dollar für Elon Musks Schaltzentrale hin oder her, auch die, die bei Twitter ihre teils recht moralischen accounts unterhalten, müssen um diesen Preis und mehr wissen: Die Krise der demokratischen Öffentlichkeit und das eigene Verhalten gehören stets direkt zusammen.