Der nächste Picasso ist ein Bot

Text von

Niklas Hail, Creative Designer LOOPING GROUP

Foto von

Niklas Hail via Midjourney
22.09.2022 5 MINUTEN

  • „Die Kunst ist tot, Kumpel“ – das befürchten Künstler:innen. Denn neue KI-Bildgeneratoren schaffen atemberaubende Bilder, in wenigen Sekunden.

  • Warum Kunstbots nicht nur eine Bedrohung sind, sondern ganz im Gegenteil eine gigantische Chance für die Redaktionelle Gesellschaft.

  • Und was wir Menschen über uns selbst lernen können, wenn Bots uns den Spiegel vorhalten.

Als Anfang September ein Gemälde bei einem Fine-Arts-Wettbewerb in Colorado das unspektakuläre Preisgeld von 300 US-Dollar gewann, löste dieser Preis einen globalen Shitstorm aus. Denn das Bild mit dem Titel „Théâtre D'opéra Spatial“ wurde durch eine künstliche Intelligenz generiert. Jason Allen, beruflich nicht Künstler sondern Spiele-Entwickler, hatte es mithilfe des AI-Tools Midjourney geschaffen. 

Dieses Jahr veröffentlichte KI-Bildgeneratoren – wie Midjourney, Dall-E 2 oder Imagen – ermöglichen es jedem User, hochwertige, fotorealistische und beeindruckende Bilder zu schaffen. Ohne Programmierkenntnisse, ohne künstlerisches Talent oder Handwerk. Nötig sind nur eine Idee und die Eingabe eines Textbefehls. 

Bei Midjourney funktioniert das zum Beispiel so: Du gibst in das Textfeld den Befehl „/imagine“ ein. Und nach diesem Befehl eine Beschreibung von dem, was du sehen willst. Zum Beispiel „/imagine a group of cavemen taking a selfie“. Der Bot generiert daraufhin in 60 Sekunden vier Vorschläge, wie das Bild aussehen könnte. Von diesen Bilder kann der Bot dann entweder weitere Variationen erstellen, oder das Bild als High-Res speichern.

Bei „/imagine 35 mm close-up photo of faces of cavemen taking a group selfie“ sieht das Ergebnis nach ein paar Varianten zum Beispiel so aus:

via Midjourney

Die Tools sind schnell, einfach zu bedienen, und sie können beliebte Stile imitieren, von Cartoons bis Dalí. So sieht zum Beispiel die Mona Lisa im Stil von Edward Munch aus:

Niklas Hail via Midjourney

Und so könnte es aussehen, würden Keith Haring und Jean Michele Basquiat gemeinsam ein Bild malen:

Niklas Hail via Midjourney

Gemälde in 60 Sekunden – kein Wunder, dass Kunstschaffende auf der ganzen Welt nervös werden. Als Allens KI-Gemälde bei dem Fotowettbewerb in Colorado gewann, hagelte es in den globalen sozialen Medien Kritik. Das sei doch geschummelt, war der häufigste Vorwurf. 

„Die Kunst ist tot, Kumpel. Die Künstliche Intelligenz hat gewonnen. Die Menschen haben verloren.“

Jason Allen

Keineswegs, meint Allen: Sein Bild sei das Ergebnis von mehr als 900 Durchläufen. Insgesamt habe er 80 Stunden investiert und das Bild mit Photoshop und anderen Tools noch weiter überarbeitet. 

Die größte Kritik richtet sich aber nicht gegen Menschen wie Allen, die diese Tools nur nutzen – sondern gegen die Entwickler:innen der Tools. Denn KI-Bildgeneratoren lernen, indem sie mit zigtausenden Bildern aus dem Internet gefüttert werden. Sie lernen, diese Bilder zu verstehen, sie mit Textbefehlen zu verknüpfen, und die Zusammenhange zwischen den Objekten zu verstehen. Sie lernen auch, Stilrichtungen zu unterscheiden und zu imitieren – indem sie mit Bildern menschlicher Künstler:innen trainiert werden. Und diese Menschen werden nicht um Erlaubnis gefragt, ob die KI mit ihren Bildern gefüttert werden darf. 

Heißt nichts anderes als: Die menschlichen Künstler:innen tragen mit ihren Bildern im Netz unfreiwillig und unwissend zum Training ihrer eigenen Konkurrenz bei. Ihre Kunstwerke tragen zur Abschaffung ihres Berufs bei. 

Im Interview mit der New York Times kommentierte Jason Allen: „Das wird so bleiben", sagte Mr. Allen. „Die Kunst ist tot, Kumpel. Es ist vorbei. Die Künstliche Intelligenz hat gewonnen. Die Menschen haben verloren.“

Womit er sicher recht hat: KI-generierte Kunst wird bleiben. Die Tools werden nur noch besser werden. Doch ob das wirklich eine Katastrophe für die Redaktionelle Gesellschaft ist, oder nicht eher eine riesige Chance – das ist eine andere Frage.

Niklas Hail via Midjourney

„Die Fotografie ist der Todfeind der Malerei, sie ist die Zuflucht aller gescheiterten Maler, der Unbegabten und Faulen.“

Charles Baudelaire

Die Sorge von Charles Baudelaire, die Fotografie werde die Malerei vernichten, hat sich nicht bewahrheitet. Neue und alte Kunsttechniken schaffen es, friedlich zu koexistieren – und ermöglichen sich gegenseitig neue Räume der Kreativität. 

Auch die KI-Bots ersticken die Kreativität nicht: Sie eröffnen neue Möglichkeiten. Sie geben einer nie dagewesenen Masse an Menschen ein einfaches Mittel an die Hand, um in Sekunden alles, was sie sich erträumen können, in Bilder zu übersetzen. 

Das hat schon etwas Magisches. 

Die Bots können auch fotorealistische Bilder von Dingen schaffen, die es so (noch) nie gegeben hat, oder nie geben wird. Wie diese verstörende Animation eines Monsters. Oder wie hier: Ein Rave im Metaverse. 

Niklas Hail via Midjourney

Wie ein anderes, sehr bekanntes Zitat des Autoren, TV Host und Wissenschaftlers Arthur C. Clarke sagt: „Jede ausreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“ 

Sie heben die Redaktionelle Gesellschaft auf ein neues Level: Jeder User hat nun nicht nur Zugang zu den Plattformen, um von einem Millionenpublikum gehört und gesehen zu werden – sondern auch die Tools, um sich künstlerisch auszudrücken. 

Das bedeutet einen Paradigmenwechsel für die Redaktionelle Gesellschaft und alle, die sich künftig darin Aufmerksamkeit verschaffen möchten. Wie Mark Seal, Head of Data Analytics & Artificial Intelligence bei Siemens, in einem LinkedIn-Beitrag auf den Punkt bringt: „Früher war es möglich, ohne eine solide Strategie auszukommen und einfach in gut gemachte und zeitgemäße Inhalte zu investieren. Wenn jedoch jeder solche Inhalte schnell und zu minimalen Kosten erstellte kann, verschwindet dieser Vorteil.

Die künstliche Intelligenz wird dazu führen, dass der Schwerpunkt nicht mehr darauf liegt, die Dinge richtig auszudrücken, sondern die richtigen Dinge zu sagen. Wenn wir uns bei der Erstellung und Verbreitung unserer Botschaft auf Technologie verlassen können, wird die Botschaft selbst das Entscheidende sein.“ 

Wonach wir den Bot fragen, sagt viel über uns als Menschen aus

Die einzige Begrenzung ist die menschliche Kreativität. Die meisten Testuser fragen nach Memes, erzählte der Student Sam Burton-King, der den @images_ai Twitter Feed betreibt, in einem Interview im New Yorker. Nach Shrek und Donald Trump oder Elon Musk in diversen Posen – was das Internet eben typischerweise so interessiert. 

Für prominente Personen stellen KI-Bildgeneratoren deswegen natürlich eine besondere Herausforderung dar. Noch nie war es so einfach, Deep Fake-Fotos von ihnen zu erstellen.

via Midjourney

Der vielleicht spannendste Aspekt an diesen neuen Tools ist, dass Menschen und Bots lernen, sich gegenseitig zu verstehen. Wir Menschen lernen dadurch nicht nur, wie Algorithmen unsere Welt sehen und interpretieren (und wie wir sie weiterentwickeln können). Wir lernen auch uns selbst als Menschheit besser kennen. 

Denn die AI lernt, indem sie Menschen zusieht. Tools wie Midjourney sehen sich abertausende Bilder an und suchen nach Mustern. Wer Midjourney fragt: /imagine life after death, der erfährt, wie die Menschen online sich das Leben nach dem Tod vorstellen. Denn Midjourney analysiert, kombiniert und interpretiert all die Bilder und Gedanken dazu im Netz. 

Niklas Hail via Midjourney

Anders gesagt: Wir lernen nicht nur, wie Midjourney das Leben nach dem Tod sieht. Sondern, wie die Menschen im Netz sich das Leben nach dem Tod vorstellen. Wir sehen unser Spiegelbild durch die Augen der KI. 

Zur Person

Niklas Hail ist Creative Designer bei der LOOPING GROUP. Als Early Adopter hält er ständig die Augen nach technischen Neuerungen offen, um seinen Arbeiten neue Einflüsse zu verschaffen. Dabei ist die Nutzung von Künstlicher Intelligenz zur Bildgenerierung eines der Assets, die in seinem Repertoire gelandet sind.

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