Klügere Fragen 

in einer Welt des 

zersplitterten Diskurses

Text von

Dr. Sam Knowles, Data Storyteller

Foto von

Andrew CABALLERO-REYNOLDS/AFP via Getty Images
01.09.2022 5 MINUTEN

Dr. Sam Knowles erklärt, was er von Expert:innen wie FBI-Verhandlungsführern und Nobelpreisträgern gelernt hat, wie man bessere Fragen stellt, seine eigenen Vorurteile hinterfragt – und was er für die fünf der klügsten Fragen der Welt hält.

In der Redaktionellen Gesellschaft zählen immer mehr Stimmen. Wer ein digitales Gerät und Zugang zu WiFi hat, kann zum Herausgeber werden und rund um die Uhr senden und empfangen. Mit dieser gern genutzten Möglichkeit besteht die Versuchung für viele Individuen, Unternehmen und Einflussnehmer zu reden, zu reden und dann noch mehr zu reden.

Politische Leader gehen mit schlechtem Beispiel voran

Diese Art der Kommunikation verstößt nicht nur gegen die Regeln des Dialogs. Der ständige Zustand von „Sender an und Empfänger aus“ verschärft auch die Spaltung und Polarisierung und droht, die Demokratie zu destabilisieren. Es ist ein Verhalten, wie es der in Ungnade gefallene US-Präsident Trump, der unaufrichtige ehemalige britische Premier Johnson, Brasiliens Bolsonaro und Ungarns Orbán an den Tag legen. 

Wenn man ständig redet und nicht zuhört oder andere zu Wort kommen lässt, hat sich die Politik von der nuancierten Komplexität des Regierens in den permanenten Antagonismus des Wahlkampfs verwandelt, der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gleichermaßen gefährdet.

Was sich auf der globalen politischen Bühne als zerstörerisch erwiesen hat, ist für Bürger:innen, Marken und Unternehmen gleichermaßen ungesund. Der allgegenwärtige Zugang zur Architektur der digitalen Kommunikation macht die Verlockung des Einbahnstraßenverkehrs für viele unwiderstehlich. Mehr noch, es zeigt, dass wir die hohe Kunst des intelligenten Hinterfragens vergessen – und in vielen Fällen aufgegeben – haben. Eine Fähigkeit, die in dem rasenden Ansturm auf soziale und digitale Medien als fast zu trivial angesehen wird, um sie in Betracht zu ziehen.

Bei der Recherche meines neuen Buches „Asking Smarter Questions“ habe ich mit vielen verschiedenen Expert:innen gesprochen, deren beruflicher Erfolg auf ihrer Fähigkeit beruht, genau das zu tun, was der Titel des Buches verspricht. Ich lernte von Journalist:innen, Ärzt:innen und Anwält:innen, einem Nobelpreisträger:innen, einem Zen-Buddhisten und einem FBI-Geiselunterhändler. 

Die bemerkenswerten Parallelen und Übereinstimmungen, die es in sehr unterschiedlichen Bereichen gibt, ermöglichten es mir, sechs universelle Grundsätze für das Stellen kluger Fragen aufzustellen: Neugier, Aufgeschlossenheit, Vorbereitung, Offenheit, Einfachheit und vielleicht vor allem Zuhören. Außerdem fand ich Inspiration für einen zeitgemäßen, harten Reset an einem unwahrscheinlichen Ort: Athen im fünften Jahrhundert vor Christus.

„Kletterwand“, nicht als „Käfigkampf“

Wirklich klügere Fragen zu stellen, beginnt mit einer der am meisten missverstandenen Figuren in der Geschichte der Philosophie – Sokrates – und seinem oft erklärten Paradoxon: „Alles, was ich weiß, ist, dass ich nichts weiß“. Egal, wie erfahren und kompetent wir auf einem Gebiet sind, lässt der einfache Akt des Eingestehens unserer Unwissenheit alle Vorurteile hinter sich. 

Noch wichtiger ist, dass wir aus einer Position der sokratischen Unwissenheit heraus beginnen und andere um Erleuchtung bitten. Zu oft gleicht der Dialog einem Wettbewerb. Nachdem wir eine Frage gestellt haben, hören wir nicht auf die Antwort – sondern warten auf die Gelegenheit, den Redefluss unseres Gesprächspartners mit unserer nächsten Frage zu unterbrechen.

Eine der klügsten Fragen der Welt folgt dem sokratischen Paradoxon. In ihrem TED-Talk „How to have constructive conversations“ verrät Julia Dhar die Vorgehensweise ihres Vaters. 

Obwohl er selbst kein Trump-Anhänger ist, tourte Dhars Vater während des Aufstiegs von POTUS 45 durch viele Städte in den USA und versuchte mit einer einfachen Formel zu verstehen, warum seine Fans ihn so sehr lieben: „So habe ich noch nie darüber nachgedacht. Was können Sie mir erzählen, das mir helfen würde, zu sehen, was Sie sehen?“ Dieser Akt der Demut senkte die Temperatur, förderte das Verständnis und baute Brücken. Wir könnten alle von der sokratischen Strategie von Dhars Vater lernen, die sie als „Kletterwand“ und nicht als „Käfigkampf“ beim Stellen von Fragen bezeichnet.

Was ist das beste Briefing der Welt?

Bild: Stephen Kings Planning Circle

1974 veröffentlichte Stephen King eine einflussreiche Monographie, „A Framework for Planning.“  Im Mittelpunkt stand die vielleicht beste Briefingvorlage der Welt (siehe Bild). 

Zu Kings fünf Kernfragen könnten wir hinzufügen: 6) Was steht uns im Weg? und 7) Was hat sich in letzter Zeit geändert, so dass wir handeln müssen? 

Auch wenn viele von uns am „Shiny New Object Syndrome“ leiden: Keine neue Technologie und kein Medienkanal bedeutet, dass wir die Einfachheit der einfachsten Briefing-Fragen der Welt neu erfinden müssen.

Seine Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Vollständigkeit haben mich davon überzeugt, dass dieses Briefing für die nächsten 50 Jahre mit neuem Leben erfüllt werden sollte. Nicht zuletzt, weil auch King von einer Position sokratischer Unwissenheit ausgeht und Vorurteile an der Tür abgibt.

Die klügsten Fragen der Welt

Angetrieben von meinem Hunger nach Wissen darüber, wie man klügere Fragen stellen kann, habe ich die meiner Meinung nach 15 klügsten Fragen der Welt definiert. Hier sind fünf davon:

  • Der beste Eisbrecher: „Was macht Sie glücklich?“ (und NICHT „Was machen Sie beruflich?“)
  • Die Grundlage für eine Praxis der Dankbarkeit: „Für welche drei Dinge bin ich heute dankbar?“
  • Die Frage, die der stoischen Philosophie zugrunde liegt: „Was kann ich kontrollieren?“ Wir können die meisten Dinge in der Welt nicht kontrollieren – Pandemien, Kriege, Politik – aber wir können unsere Reaktion darauf kontrollieren.
  •  Die Columbo-Frage, die durch den TV-Detektiv aus den 1970er Jahren populär wurde: „Nur noch eine Sache ... gibt es irgendetwas, das ich Sie nicht gefragt habe, das ich Sie aber hätte fragen sollen?“
  • Die Frage nach dem Net Promoter Score: "Auf einer Skala von 0-10, wie wahrscheinlich ist es, dass Sie dieses Unternehmen einem Freund oder Kollegen empfehlen würden?“

In unserer Welt des fragmentierten Diskurses, der durch das hirnlose Geschrei auf sozialen und digitalen Medienplattformen noch verschlimmert wird, war es noch nie so wichtig, die Kunst, klügere Fragen zu stellen, wiederzubeleben. 

Wenn wir von einer Position der sokratischen Unwissenheit ausgehen, können wir Vorurteile beiseite lassen. Vor allem aber erlaubt es uns, zuzuhören und tatsächlich zu hören, was andere zu sagen haben.

Zur Person

Dr. Sam Knowles ist der Gründer, Geschäftsführer und Chief Data Storyteller des Beratungsunternehmens Insight Agents. Ursprünglich ist Sam Klassizist und hat einen Doktortitel in experimenteller Psychologie, der die Grundlage für sein Verständnis von menschlicher Motivation und Verhalten bildet. Er ist Autor der Buch-Trilogie Using Data Better, die bei Routledge erschienen ist, des Bestsellers Narrative by Numbers (2018), des von der Kritik hochgelobten Buchs How To Be Insightful (2020) und des mit Spannung erwarteten Buchs Asking Smarter Questions.

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