WTX? Wann ein Rebranding sinnvoll ist

Text von

Alfred Rinaldi, Director Editorial Strategy LOOPING GROUP LINKEDIN

Foto von

X/@elonmusk
24.08.2023 5 MINUTEN

  • Ein Rebranding wird anfangs oft als störend empfunden. Es ist eine Überraschung, die Konsument:innen nicht herbeigesehnt haben.

  • Das Messaging der Marke wird durch Farben, Schriftarten, Bilder und Wörter kommuniziert sowie durch die Wirkung dieser Elemente in kreativen Kombinationen. Man sollte diese Faktoren genau verstehen, um die erwünschte Wirkung zu erzielen.

  • Marketing spielt eine wichtige Rolle, um ein Branding aufzuladen. Mit Fokusgruppen können Unternehmen ihr neues Branding testen.

Twitter heißt nun X – und im X-Feed sind einige User:innen empört. War dieses Rebranding eine gute Idee? Lohnt sich eine Umbenennung bei einer alten Marke überhaupt? Und was sollte dabei beachtet werden? 

Erminia Blackden, Planning Director bei Looping Group und Head of Strategy bei The Game, hat sich das Rebranding genauer angesehen. Im Interview mit Alfred Rinaldi verrät sie, auf was es sich zu achten lohnt – und was Konzerne wie Disney besonders gut machen.

Alfred Rinaldi: Erminia, was hältst Du von X, dem Rebranding von Twitter? In meinem X-Feed sind wenig User:innen begeistert: Das schwarze Icon sei auf dem Handy schwer zu erkennen, „brutal und hässlich“, erinnere an „eine rechtsextreme Partei”, „das Dark Web“, sähe „billig gemacht“, „unheimlich“ oder nach Porno aus!

Erminia Blackden: Twitter war zu seinem Launch eine sensationelle Wortmarke. Die Wörter Twitter und Tweet sind wunderbar lautmalerisch und passten perfekt zu extrem kurzen, schnellen, pointierten Posts. Inzwischen kann man aber eine ganze Abhandlung auf der Plattform schreiben. Daher verstehe ich, warum Elon Musk über ein Rebranding nachgedacht hat.

Und er will aus X eine „Everything App“ machen, wie Tencents WeChat.

Genau. Noch dazu ist Musk größenwahnsinnig und vom Buchstaben X besessen. Ich habe also Verständnis für das Rebrand, aber nicht für das X.

Warum?

Das hat etwas mit Semiotik zu tun – der Wissenschaft, die sich mit Zeichen befasst. Branding funktioniert größtenteils auf einem unterbewussten Level. Farben haben eine Bedeutung, Formen haben eine Bedeutung und Schriftarten transportieren einen ganz eigenen Vibe. Das alles ist sehr subtil. Wenn man also einen bestimmten Inhalt mit einem Branding transportieren will, muss man diese Faktoren genau verstehen und sie intelligent nutzen. Dieser Teil muss sitzen, wenn das Rebranding effektiv sein soll.

Das X scheint eher dunkle Assoziationen zu wecken. 

Auf mich wirkt es sehr aggressiv. Es hat etwas Kräftiges, Geheimnisvolles. Ein „O“ hingegen ist ein kuscheliger Buchstabe, weil es rund ist. Semiotisch gedacht: Mit wem würde man lieber auf ein Date gehen? Mit einem X oder einem O? Das bleibt jedem selbst überlassen, aber X und O sind wahrscheinlich sehr unterschiedliche Individuen.

Das Problem ist also zweiteilig: Erstens, jedes Rebranding ist disruptiv und daher für uns unbequem. Zweitens, als Konsument:innen haben wir es nicht bestellt oder ersehnt – es überrascht uns. Und daher ist es umso wichtiger, dass ein Rebranding professionell umgesetzt wird.

Genau. Branding lässt neuronale Wege in unserem Gehirn entstehen. Ein Rebranding ersetzt die alten neuronalen Wege mit neuen. Und dieser Prozess wird umso effektiver, desto mehr Berührungspunkte wir mit dem neuen Branding haben.

Folglich sind diese neuronalen Wege das Kapital von Marken in unseren Köpfen.

Ja, wir nennen das Brand Equity. Deswegen ist es auch äußerst effektiv, die Präsenz zu nutzen, die man schon hat.

Welche Marke macht das besonders gut?

Disney ist ein sehr gutes Beispiel. Disney ist heute ein anderes Unternehmen als vor fast 100 Jahren, als Walt Disney seine erste Micky Maus zeichnete. Inzwischen ist Star Wars dazugekommen, und wenn man sich Disney+ anschaut, wundert man sich, wieviel Content es für eine erwachsene Zielgruppe gibt: wirklich tolle Filme, die sich aber kein Kind anschauen würde. Das heißt, Disney war schon immer Entertainment, fokussierte sich ursprünglich auf Kinder, schließt jetzt aber auch Erwachsene als eigene Zuschauergruppe ein. Deswegen liebe ich den Namen Disney+. Das ist viel besser, als den Streaming Service „Centurion“ zu nennen oder irgendeinen anderen obskuren Namen zu wählen.

Lieber Evolution als Revolution?

Das kann man so nicht sagen. Jede Marke muss mit der Zeit gehen und ihr Aussehen auffrischen. Das gilt für Coca-Cola und Pepsi ebenso wie BMW. Denn unsere Assoziationen mit Formen und Farben und auch der gesellschaftliche Kontext verändern sich ständig. Marken brauchen ein zeitgemäßes Outfit. Dann gibt es aber auch Änderungen in der Markenarchitektur: Als die Holding Company von Google sich in Alphabet umbenannte, signalisierte sie, dass sie viel mehr machen als nur eine Suchmaschine. Und doch heißt das Produkt, das wir ständig benutzen, weiterhin Google. Dennoch gibt es das Rebranding, das einen unternehmerischen Richtungswechsel transportieren soll. Das muss sogar revolutionär und nicht evolutionär sein.

Fällt dir ein gelungenes Beispiel ein?

Das Ölunternehmen BP – British Petroleum – war eines der ersten, dass sich neu ausrichtete, um Umweltkriterien viel stärker zu berücksichtigen. Das alte Logo war ein Schutzschild mit den Buchstaben „BP“. Das neue Logo ist eine grün-gelbe, runde Blume.

Wie kommt man auf so etwas? Und wie stellt man sicher, dass Logo und intendierte Botschaft zusammenpassen?

Man kann ein Logo auf die Welt loslassen oder im Labor damit experimentieren –recherchieren, mit Fokusgruppen sprechen. Damit kann man sechs bis zwölf Monate in der realen Welt simulieren. Man zeigt den Probanden ein Logo und fragt: Was für eine Person wäre dieses Logo? Für mich ist das derzeitige BP-Logo eine Frau. Eine liebevolle Frau, die sich kümmert. Aufgrund der Farben würde ich sagen, diese Frau liebt die Natur. Das Logo erweckt keinerlei Assoziationen mit Erdöl. Was macht diese Person beruflich? Für mich wäre sie eine Lehrerin oder eine Künstlerin. Eine halbe Stunde mit einer Testperson ist also genau so viel wert wie ein halbes Jahr in der realen Welt. Denn wir verbringen in diesem Zeitraum sicher keine 30 Minuten mit einem Logo.

Man sollte sich also immer dem Geschmack der Normalverbraucher:innen beugen?

Manchmal ist dieser Input sinnvoll. Aber manchmal geht es um eine radikale, neue Vision, die sich die Konsument:innen von heute nicht unbedingt vorstellen können. Wie Henry Ford einst sagte: „Hätte ich meine Kunden gefragt, was sie wollen, hätten sie gesagt: ein schnelleres Pferd“. Ergo: Um in einer neuen Welt, die es so noch nicht gibt, erfolgreich zu bleiben, muss man manchmal radikal und disruptiv sein.

Demnach ist das X doch gar nicht so schlecht?

Das bleibt abzuwarten.

Zu den Personen

Alfred Rinaldi ist seit 2021 bei der Looping Group und als Director Editorial Strategy für ein großes Kundenportfolio tätig. Dabei sind seine Schwerpunkte Branding und Narrativentwicklung.

Erminia Blackden arbeitet seit 2021 als Planning Director bei der Looping Group und wurde im Januar 2023 Head of Strategy von The Game. Dort ist sie in erster Linie für die strategische Entwicklung der BMW-Kommunikation und deren Rolle bei der Begeisterung für die Marke verantwortlich.

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