„Die Laune beim Tweeten

am Klo kann heute

Kurse bewegen“

Interview mit Philipp Klöckner

Investor, Podcaster und Tech-Experte

Geführt von

Thomas Schmelzer, Senior Editor Looping Group
07.07.2022 7 MINUTEN

Philipp Klöckner ist Investor, Podcaster und Tech-Experte.

Er erklärt, welche Rolle Narrative am Aktienmarkt spielen, warum viele Unternehmen nur mittelmäßige Storyteller sind – und was CEOs von Elon Musk lernen können.

Eine Horde Reddit-User wiegelt Hedgefonds gegeneinander auf. Fake-News eines Twitter-Accounts zwingen den Kurs einer Hot-Dog-Kette in den Keller. Gefeierte Startups erweisen sich als heiße Luft. Und Elon Musk stutzt per Tweet mal eben die Bewertung Twitters zurecht. Längst durchdringen die Dynamiken der Redaktionellen Gesellschaft die weltweiten Kapitalmärkte. Nicht mehr reine Zahlen regieren am Handelsparkett, sondern genauso Narrative, Tweets und Memes.

Der Investor und Berater Philipp Klöckner beobachtet diese Entwicklung seit langem – und ist mit seinem Podcast Doppelgänger selbst zum Finanz-Influencer geworden. Wir haben mit ihm über Storytelling am Kapitalmarkt gesprochen. 

„Das Thema wird von vielen Firmen sträflich vernachlässigt.“

Ob WallStreetBets oder Elon Musk: Viele haben das Gefühl, dass Storys und Memes am Aktienmarkt inzwischen mehr zählen als solide Zahlen in der Bilanz. Stimmt der Eindruck?
In den vergangenen Jahren hatten Narrative tatsächlich die Oberhand. Der Markt hat sie überbewertet. Auf der einen Seite ist das gut, weil Storytelling von den Kapitalmärkten lange unterschätzt wurde. Wie wir jetzt sehen, hat die Entwicklung aber auch dazu geführt, dass Fakten und Daten in manchen Fällen ignoriert wurden. Seitdem die Kurse fallen, dreht sich das Ganze: Auf einmal schauen sich die Leute doch wieder die harten Zahlen an.  

Weil die ein oder andere Erzählung im aktuellen Abschwung ins Straucheln gerät?
Zumindest merken viele Leute, dass manche Narrative vielleicht doch nicht so weit tragen, wie man gedacht hat und Aktien auch mal fallen können. Dafür fehlte vielen Anleger:innen schlicht das Gefühl, weil sie noch keine Krise miterlebt haben. Die Ernüchterung ist groß. 

War der Markt blind?
Ich glaube, Menschen haben einfach eine Sehnsucht nach guten Geschichten. Wir wollen hören, dass sich Fleischersatzprodukte durchsetzen werden oder elektrische Fahrzeuge ohne Probleme die Straßen erobern. Dass wir mit Raketen zum Mars fliegen, oder Flugtaxis durch unsere Städte schwirren. Das sind alles vollkommen legitime Wünsche und Hoffnungen, die man noch mal stärker adressieren kann, wenn man Emotionen und Gefühle anspricht. Andererseits führt so eine Herangehensweise wie gesagt auch dazu, dass in der Bilanz manchmal vielleicht nicht ganz so genau hingeschaut wird. 

Und das ist zu oft passiert? 
Bedenklich wird es immer dann, wenn Firmen nur noch aus einer Story bestehen und fundamental wenig bis gar nichts dahinter steht. Grundsätzlich ist gegen Storytelling für die Kapitalmärkte ja gar nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Das Thema wird von vielen Firmen sträflich vernachlässigt. Leider sind die besten Storyteller oft jene Unternehmen, bei denen eben kaum mehr als eine Story dahintersteht. Und bei den seriösen Unternehmen ist es genau andersherum: von denen setzen sich nur fünf bis maximal zehn Prozent mit dem Thema auseinander. Noch weniger machen es wirklich gut.  

„Es sollte zum Standardrepertoire jedes CEOs gehören, auf Twitter zu sein“

Warum tun sich die seriösen Unternehmen so schwer?
Viele Konzerne haben das Thema schlicht nicht für nötig gehalten. Die Prämisse war, dass man es vor allem mit institutionellen Anlegern zu tun hat. Dass es ausreicht, einmal im Jahr die Zahlen und das Unternehmen hübsch im Jahresbericht darzustellen. Ein dauerhaftes Narrativ für den Kapitalmarkt aufzubauen geschweige denn zu pflegen, spielte bislang kaum eine Rolle. 

Viele Investor-Relations-Abteilungen sehen Storytelling auch nicht als ihre primäre Aufgabe an. 
Das mag sein. Aber wenn viele neue Anleger:innen an den Markt kommen, ist es essentiell, das eigenen Narrativ auch zwischen Quartalsergebnissen und Jahresbericht zu steuern. Heutige Anleger:innen informieren sich vollkommen anders als institutionelle Anleger:innen. Ob man das Storytelling dann bei Investor Relations ansiedelt, es von der PR übernommen wird, oder das CEO-Office die Steuerung übernimmt, ist erstmal egal. Hauptsache, man tut etwas. Langfristig entsteht dadurch ein enormer strategischer Vorteil.

Zeigt Elon Musk, wie es richtig geht?
Er ist sicherlich der aktuell einflussreichste Storyteller, den es am Kapitalmarkt gibt. Und er besitzt die Macht, mithilfe des Storytellings kurzfristige Ziele zu erreichen. Ob das immer dem Wohle seiner Shareholder dient oder eher seiner eigenen Agenda, sei mal dahingestellt. 

Die Deutungshoheit behält er jedenfalls bei sich.
Bis vor kurzem hätte ich das so unterschrieben. Im aktuellen Geschacher um seine mögliche Twitter-Übernahme legt aber auch er eine gewisse Wankelmütigkeit an den Tag. Und das ist natürlich gefährlich für sein Narrativ. Würde ein Kind von seiner Oma ein Märchen immer in anderen Versionen erzählt bekommen, würde es irgendwann auch nicht mehr an die Lehre aus der Geschichte glauben. 

Trotzdem reicht ein Tweet von ihm aus, um den Kurs von Twitter zu stutzen.
Prinzipiell versteht er die Mechaniken von Narrativen und Social Media natürlich sehr genau. Das beweist schon Tesla: Die haben ihre Vision ja tatsächlich verwirklicht und waren eine der erfolgreichsten Aktien des letzten Jahrzehnts. Das liegt sicherlich auch stark daran, dass sie Storytelling extrem effizient genutzt haben. 

Was können CEOs von Musk lernen? 
Als erstes, dass es zum Standardrepertoire jeder IR-Abteilung und jedes CEOs gehören sollte, überhaupt auf Twitter zu sein und den Account auch regelmäßig zu nutzen. Da fängt es ja schon an: Viele machen das nicht. Dabei können CEOs via Twitter wunderbar die Kontrolle über die Newslagen gewinnen und das eigene Narrativ streuen. Damit das funktioniert, müssen sie aber auch regelmäßig an Debatten teilnehmen und eigene Themen setzen. 

„Wenn genügend Leute etwas wollen, dann kann es auch passieren. Genau so könnte es mit Kryptowährungen geschehen.“

Mit Elektromobilität oder Raketen ist das allerdings auch einfacher als mit Spezialprodukten für die Industrie. 
Klar. Aber auch solche Produkte beeinflussen am Ende fast immer unseren Alltag. Wenn man Menschen auf der Straße fragt, wo BASF in ihrem Leben eine Rolle spielt, dann wissen die meisten wahrscheinlich keine Antwort. Dabei würde ihr Auto ohne die Spezialchemie wahrscheinlich nicht mal anspringen. Genau diese Relevanz für den Alltag der Menschen müssen Unternehmen viel stärker herausstellen und als Narrative besser erzählen. 

Paradoxerweise haben Bitcoins und Ether auch einen begrenzten Nutzen im Alltag – aber alle reden über sie. Sind Kryptowährungen am Ende einfach sehr, sehr gut erzählte Narrative?
Zumindest basieren sie aktuell vor allem auf Storytelling und Hoffnungen. Kryptos sind bislang weder eine gute Absicherung gegen Inflation noch eine sichere Wertaufbewahrung oder ein besonders effizientes Zahlungsmittel. Das heißt aber nicht, dass genau das nicht doch noch passieren könnte. Es gibt im Englischen den Ausdruck „to will something into existence“, der das sehr schön beschreibt: Wenn genügend Leute etwas wollen, dann kann es auch passieren. Genau so könnte es mit Kryptowährungen geschehen. 

Aktuell brechen auch dort die Kurse ein.
Kryptowährungen sind eben hochspekulativ. Sie funktionieren nach dem Pyramidenprinzip: Erst wenn der letzte Mensch den Glauben an sie verliert, brechen sie zusammen. Erst wenn niemand mehr rekrutiert werden kann für die Sekte, erlischt der Wert. 

Elon Musk hat immer wieder sehr viel Geld mit ihnen verdient. 
Er kann über Twitter einen sehr starken Einfluss auf Individuen ausüben – und geht damit gelinde gesagt nicht besonders verantwortungsvoll um. Oft verstößt er gegen die Regeln der Finanzaufsicht, fast immer treibt er seine eigene Agenda voran. Wenn die Laune eines Menschen beim Tweeten auf dem Klo den Kurs von Kryptowährungen um 20 oder 30 Prozent nach oben oder unten bewegen kann, dann wird dieser Mensch seiner Verantwortung jedenfalls nicht gerecht, finde ich.

Zur Person

Philipp Klöckner berät Private Equity Firmen, Venture Capital Fonds und Wachstumsunternehmen. Er ist Tech-Experte, Podcaster und als Business Angel selbst in mehrere Start-ups investiert. Für Rocket Internet baute er zahlreiche Start-ups und Wachstumsunternehmen mit auf, von denen ein gutes Dutzend heute Unicorns sind. Zusammen mit seinem Namensvetter Philipp Glöckner hostet er zwei Mal pro Woche den Podcast Doppelgänger Tech Talk.

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